Enkel und Großeltern reisen gemeinsam aus Wien ans Nordkap und brauchen dafür nicht nur das titelgebende "Sitzfleisch".

Foto: Polyfilm

Wien - In einem Häuschen in Simmering geht es los: Enkelin und Enkel, Oma und Opa beladen den Pkw und brechen zu einer Fahrt ans Nordkap auf. Die Enkelin hat ihre Filmkamera dabei, sie wird die zweiwöchige Reise dokumentieren.

Das Reisen bringt es mit sich, dass sich die Distanz zur gewohnten Umgebung stetig vergrößert, während einander die Reisenden zwangsläufig näherkommen: Die Enkel erleben die eingefahrenen Verhaltensmuster und Umgangsformen der Großeltern unmittelbar. Sie wollen sich dazu positionieren, intervenieren, möglicherweise Veränderungen bewirken, müssen aber erkennen, dass die bald fünfzig Jahre währende Ehe von Opa und Oma diese Form des Neben- und Gegeneinanders möglicherweise bedingt und benötigt.

Im Titel des Dokumentarfilms klingt jedenfalls Beharrungsvermögen an: Sitzfleisch ist das Langfilmdebüt der Wiener Filmakademie-Studentin Lisa Weber, die zuvor in ihrem Kurzfilm Die und der von da und dort eine stimmige Form für Porträts von Wientouristen gefunden hat oder mit Twinni oder so einen Teenagermädchennachmittag in der Sommerhitze auf den Punkt brachte.

Sitzfleisch ist nun einerseits ein Familienporträt "on the road", und - da die Protagonisten ein gewisses Talent fürs (Nicht-)Agieren vor der Kamera und einigen Wortwitz mitbringen - ein herb-unterhaltsames Exemplar dieses Genres. Andererseits entwickelt die Regisseurin und Kamerafrau aus dem Vorgefundenen auch immer wieder stimmige Bildideen, weshalb Sitzfleisch mehr ist als ein Urlaubsfilm oder Homemovie: Schon zu Beginn sorgt der zweiteilige Rahmen des hinteren Autoseitenfensters für die ungewöhnliche Kadrage, und diese markiert gleich einmal fein säuberlich getrennte räumliche Sphären und unterschiedliche Bewegungsvektoren, bevor das kleine Familienkollektiv eingeführt wird.

Niemals ohne Proviant

Der Umstand, dass die Situationen häufig auf familiäre (oder kulturelle) Standards hinauslaufen, weist ebenfalls über die konkrete, individuelle Reiseerfahrung hinaus: Im Österreicher, der sicherheitshalber nicht ohne seine Hartwurst im "Geheimfach" ins Ausland aufbricht, in hitzigen Debatten übers richtige und falsche Abbiegen oder in den grantigen Beschwerden darüber, dass einem all die anderen Touristen mit demselben Ziel nun am Ende das schöne Andenkenfoto versauen ("Trottel, Teifi, Scheiße"), kann man jederzeit sich selbst oder Zeitgenossen aus dem eigenen Umfeld wiedererkennen.

Sitzfleisch ist außerdem eine kleine beiläufige Studie zweier Generationen. Und schließlich, schreibt Weber im Presseheft, habe ihre Großmutter nach Sichtung des fertigen Films auch noch festgestellt: "Des is ka Reisefüm, des is jo a Beziehungsfüm!" (Isabella Reicher, DER STANDARD, 17.12.2014)