Wo drückt Führungskräfte der Schuh? In Vieraugengesprächen ohne Blatt vor dem Mund bleibt die Antwort nicht lange ein Geheimnis. Drastisch, aber repräsentativ für alle Gespräche ist diese Aussage: "Wir tanzen mit einem Arsch auf tausend Hochzeiten, sitzen uns in vollkommen überflüssigen Meetings den Hintern breit, haben weder Zeit noch Nerven für eine in die Tiefe gehende Auseinandersetzung mit wirklich wichtigen Fragestellungen, verrenken uns in Selbstdarstellungstänzchen, legen jedes Wort auf die Goldwaage, und für die eigentliche Arbeit bleibt immer weniger Zeit. Und wer wirklich klar und begründet seine eigene Meinung sagt, der legt den Kopf unters Fallbeil. Widerspruch ist Hochverrat!"

Hübsch auch diese sarkastische Bemerkung zum Thema: "Wir werden verrückt gemacht, wir lassen uns verrückt machen, und wir machen uns selbst verrückt!" Zusatz: "Tja, der ganz alltägliche Wahnsinn hat Ausmaße angenommen, die ich nie für möglich gehalten hätte, nie und nimmer, und das wird immer verrückter!"

Flutwelle Erwartungsdruck

Sieht nicht danach aus. Nehmen wir die Studie "Tunnelblick" der Unternehmensberatung Coverdale Team Management Deutschland. Der Titel spricht für sich und bezieht sich unter anderem auf die zwangsläufige Blickverengung im Management aufgrund der herrschenden Umstände. Als Hauptauslöser für den "Tunnelblick" identifiziert die Studie "Kapazitätsüberlastung und Termindruck". Und, wen wundert's, Versagens- und Existenzängste.

Wer unter der Flutwelle des aus dem Erwartungsdruck von oben resultierenden Sollens und Müssens nur noch mühsam nach Luft schnappen kann, "sitzt ganz einfach früher oder später mit vollen Hosen da und starrt nur noch geradeaus. Warum begreifen die Verantwortlichen nicht, dass mit derartig vereisten, blickverengten Führungskräften effizientes, vorausschauendes und mutiges Arbeiten nichts ist als eine Fata Morgana, ein Trugbild ohne Substanz?", so eine andere Vier-Augen-Stimme.

Höheres Tempo, nachlassende Qualität

Stichwort "Substanz" - weitere Erkenntnisse der Studie: Der vorherrschende Führungsstil ist direktiv. Die Zusammenarbeit verschlechtert sich. Man schottet sich ab, die Anspannung steigt, Konflikte nehmen zu, Verlässlichkeit und Verantwortungsübernahme nehmen ab.

Und das, was gemeinhin nur der politischen Kaste angelastet wird, zeigt sich zunehmend auch in den Unternehmen: Die Entscheidungsgeschwindigkeit nimmt zu, allerdings mit nachlassender Qualität. "Tja, man wird doch manchmal irre an dem, was da oben entschieden wird. Wer den Kopf im Nebel des kaum noch wirklich Voraussehbaren hat, sollte doch wenigstens die Füße auf dem Boden haben!" Lässt sich die Abgehobenheit so mancher als zukunftsweisend verkaufter Entscheidung noch plastischer in Worte fassen?

Erkennt denn tatsächlich keiner der definitiv Verantwortlichen, was da verschlissen wird an materiellen und immateriellen Ressourcen? Beispielsweise gilt auf der einen Seite "Zeit ist Geld", auf der anderen Seite wird dieses Zeitgeld mit vollen Händen in unsinnigsten, oft genug einzig und allein der Selbstdarstellung und Selbstbeweihräucherung dienenden Meetings hemmungs- und (insbesondere auch in zwischenmenschlicher Hinsicht) rücksichtslos zum Fenster rausgeschmissen.

Harakiri und andere Kontraproduktivitäten

Ist die Gesamtsituation, in die sich Unternehmen heute gestellt sehen, nicht schon kräftezehrend genug? Muss diese Konstellation tatsächlich noch innerbetrieblich durch eine bunte Melange kontraproduktivster Verhaltensweisen verschärft werden?

Da werden Belanglosigkeiten aufgeblasen, Nebensächlichkeiten zu durch nichts und gar nichts begründeten Prioritäten hochstilisiert und, wenn es darauf ankommt, Farbe zu bekennen und Haltung zu zeigen, wird geschwind darauf geachtet, die Fahne im richtigen Wind flattern zu lassen, und man beeilt sich, denen eine Stufe höher nach dem Munde zu reden - eben weil die eigene Meinung nur zu oft die Qualität von Harakiri hat.

Letzteres ist beispielsweise nachzulesen in einem unlängst im Deutschen Taschenbuch-Verlag mit dem aufmüpfigen Titel Mach dich unbeliebt und glücklich und nimm dir vom Leben, was du willst! erschienenen Buch: "Immer öfter hatte ich das ungute Gefühl, dass etwas schieflief ... Die Menschen, die jetzt das Sagen hatten, redeten zwar geschliffen, trauten sich aber nicht mehr, mutige Entscheidungen zu treffen. Alle schauten darauf, was die anderen taten. Keiner wagte es, sich um der Sache willen unbeliebt zu machen."

Hochblüte der Anpassung

Diana Dreeßen, die Autorin dieses Buchs, legt damit den Finger in die offene Wunde der Unternehmensführung: Die Kunst des angepassten Verhaltens, der Absicherung und des Sich-bedeckt-Haltens steht in hoher Blüte. Der Mut zum abgewogenen klaren, offenen Wort trifft in den Unternehmen - wie im Übrigen unter der Herrschaft der Political Correctness in der gesamten Gesellschaft - auf immer miserabler werdende Wachstumsbedingungen. Natürlich lässt sich mit solchem Verhalten ein Unternehmen auch über die Runden bringen. Aber zu welchem Preis? Und wie effizient? Und wie lange? Und, eine momentan un- ter dem Stichwort "gesund führen" im Blickpunkt der Aufmerksamkeit stehende Frage, mit welchen gesundheitlichen Konsequenzen?

Hat Dreeßen, die an die zwanzig Jahre an der Frankfurter Börse im Wesentlichen als Wertpapierhändlerin tätig war, bevor sie sich 2002 als Managementtrainerin selbstständig machte - weil sie die oben beschriebenen Umweltbedingungen bei der Arbeit nicht mehr aushielt -, nicht recht, wenn Sie konstatiert: "Ob es Ihre privaten Vereine betrifft, Ihren Businesskontext oder Ihren Bekannten-, Familien- und Freundeskreis - es ist immer das Gleiche: ... Wenn etwas falsch läuft und Sie nichts sagen, passiert nicht nichts, sondern der Missstand wird immer schlimmer.

Den Mund wieder aufmachen

Wenn niemand einschreitet, geht die ganze Unternehmung allmählich den Bach runter, oft mit schwerwiegenden Konsequenzen für alle Menschen."

Also denn, es gilt der Meinungsfreiheit, dem offenen Gedankenaustausch, der nichttaktischen Kommunikation in den Unternehmen wieder auf die Beine zu helfen und zu erkennen, dass Effizienzsteigerung beileibe nicht nur ein organisatorisches, sondern vielmehr in erster Linie ein Verhaltensproblem ist. Der Griff zu diesem Buch könnte der Anfang sein, den Dingen im Interesse der Sache wie der eigenen Lebensqualität eine andere, eine effizientere Richtung zu geben.

Das Anliegen von Dreeßens Buch ist es ja keineswegs, wie der Titel möglicherweise suggerieren möchte, rücksichtsloses Verhalten zu trainieren und für seine persönlichen Vorteile und Ziele endlich über Leichen zu gehen. Rücksichtsloses, egozentrisches Verhalten, stellt Dreeßen klar, "ist nicht die Alternative zu 'Ich sage dann mal lieber nichts'".

Zwischen diesen beiden Extremen liegen zahlreiche kommunikative Nuancen und vor allem das sachlich, souveräne Auftreten, mit dem "Sie Ihr Leben entscheidend bereichern können." Und, wäre nach der Lektüre hinzuzusetzen, das "Ihres" Unternehmens - so man Sie denn lässt. (Hartmut Volk, DER STANDARD, 13./14.12.2014)