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Mit mehr als 10.600 Arten sind die Vögel die artenreichste Klasse der Landwirbeltiere. Nun liegt ihr detaillierter Stammbaum vor.

Foto: AP/Boris Grdanoski

Washington/Wien - Es ist nicht weniger als ein wissenschaftlicher Kraftakt: In einem vierjährigen Projekt entschlüsselten hunderte Forscher aus über 80 Institutionen weltweit das Erbgut von 45 Vogelspezies, darunter von mindestens je einer Art jeder größeren Abstammungslinie. Zudem wurde das Genom mehrerer Krokodilspezies, der nächsten lebenden Verwandten der Vögel, sequenziert und ebenso wie menschliches Erbgut mit den Ergebnissen verglichen.

Rasante Evolution

Die Resultate, die die Forscher nun in insgesamt 29 Studien darlegen (acht davon in der aktuellen Ausgabe von Science), bergen zahlreiche neue Erkenntnisse über Evolution, Entwicklungslinien und Verwandtschaftsverhältnisse heutiger Vogelarten. Und fügen sich damit zum bis dato detailliertesten Stammbaum dieser artenreichsten Landwirbeltierklasse unserer Zeit zusammen.

Die Ergebnisse stützen die Theorie einer regelrechten Artenexplosion der modernen Vögel nach dem großen Massenaussterben vor knapp 66 Millionen Jahren, dem die Dinosaurier (mit Ausnahme der Vögel) anheimfielen. Im Vergleich zu Krokodilen, deren Erbgut sich nur sehr langsam veränderte, ging die Evolution der Vögel extrem schnell voran. Ihre Diversifikation dürfte aber schon vor der Massenextinktion eingesetzt haben.

Unerwartete Verwandtschaftsverhältnisse

Einige frühe Entwicklungsstadien aus dieser Vorzeit ließen sich nun vorsichtig neu datieren: So dürfte etwa der Verlust der Zähne vor etwa 116 Millionen Jahren eingesetzt haben. Die Genomvergleiche bergen aber noch ganz andere Überraschungen: Demnach sind zum Beispiel Falken enger mit Papageien und Singvögeln verwandt als mit Adlern oder Geiern.

Auch zeigte sich, dass Vögel beim Singen (oder bei der Nachahmung der menschlichen Sprache) größtenteils die gleichen Gene benutzen wie Menschen beim Sprechen. Die Fähigkeit dazu dürfte sich wiederum mehrmals voneinander unabhängig und in unterschiedlichen Ausprägungen entwickelt haben. Aus den riesigen Datenmengen werden künftig wohl noch einige weitere Erkenntnisse hinzukommen. Zu deren Verarbeitung benötigten die Forscher übrigens die Leistung von neun Supercomputern. (David Rennert, DER STANDARD, 12.12.2014)