Streifzüge eines Hundes namens Roxy und ...

Foto: Stadtkino

... Hände, die in 3-D ins Wasser tauchen: Jean-Luc Godards "Adieu au langage" tastet die Formensprache des Kinos ab.

Foto: Stadtkino

Wien - Zitate finden sich in den Filmen von Jean-Luc Godard wie Sand am Meer. Eines, das sich für seinen ersten Langfilm auf 3-D besonders gut anbietet, wird sogar von ihm ausgewiesen. Der wilde Hund Louis-Ferdinand Céline soll gesagt haben, dass die Schwierigkeit darin bestehe, "das Flache in die Tiefe einzupassen." Das ist nicht ganz korrekt wiedergegeben. Denn der Schriftsteller schrieb eigentlich von zwei anderen Begriffen: vom Abstrakten, das nicht leicht mit dem Konkreten zusammengeht.

Auf Verwirrspiele dieser Art muss man bei Godard stets gefasst sein. Aber vielleicht ist es auch mehr: Denn in Adieu au langage, seinem 39. Kinofilm, liegen das Abstrakte und das Konkrete auf ähnliche Weise im Widerstreit wie Raumverhältnisse. 3-D - und darin liegt das eine große Faszinosum dieses Films - ist hier kein Mittel, die Einbindung der Zuschauer in die Illusion zu vergrößern. Im Gegenteil dient die Technologie Godard und seinem Kameramann Fabrice Aragno als Experimentierfeld, indem sie sie gewissermaßen gegen den Strich bürsten.

Dies führt in den bemerkenswertesten Passagen beispielsweise dazu, dass der stereoskopische Effekt absichtlich "falsch" verwendet wird. Wir sehen ein Paar in einer Wohnung, die Frau entfernt sich aus dem Bildausschnitt, doch eine Kamera verweilt bei ihr, während die andere bei dem Mann verharrt. Beim Betrachter fühlt sich das an, als würde man schielen. Der imaginäre Raum des Films wird durchbrochen, die Illusion kippt - zugleich erzählt die Szene aber auch von dem "Defekt", der sich in der Paarbeziehung an vielen Enden bemerkbar macht und sich in Gewalt entlädt.

Wenn sich Godard gerade in jenem historischen Moment mit dem digitalen Kino befasst, wo dieses das analoge als kulturelles Paradigma endgültig ablöst, dann hat das besonderes Gewicht. Schon in Cannes, wo der Film seine Uraufführung erlebte (der 84-Jährige wurde dort ex aequo mit dem jungen Kanadier Xavier Dolan mit dem Preis der Jury ausgezeichnet), hatte man den Eindruck, das cinephile Publikum würde sich vom Hexenmeister der Nouvelle Vague außergewöhnliche Antworten erhoffen. Und es behielt ja auch Recht. Denn kein anderer Regisseur lässt mit solcher Assoziationskraft Bildtypen aufeinander los.

Godard bringt etwa kulturelle Techniken gegeneinander in Stellung, ohne sie mit einer anderen Gebrauchsanleitung zu versehen, als sie auf uns wirken zu lassen: das Blättern in Büchern und das Wischen auf Smartphones; Filme, die auf Flatscreens laufen (Only Angels Have Wings, Metropolis), Szenen, die wie kurze Rendezvous mit eigenen früheren Filmen wirken (Une femme mariée), oder eine Kurzvisite in einem Kostümfilm, bei Mary Shelley und Lord Byron, die am Genfer See an ihren Horrorgeschichten schreiben. Stets geht es dabei auch um die Texturen der Bilder selbst: Wie sieht es aus, wenn Shelleys Tinte in 3-D auf Papier trocknet? Und wie, wenn der Regenschauer auf der Windschutzscheibe Farbschlieren erzeugt?

Blut und Klogeräusche

Noch offener als in anderen späten Arbeiten, von Éloge de l'amour bis Film Socialisme, wirkt Adieu au langage, obwohl sich auch hier eine Struktur der Doppelungen hinter der assoziativ anmutenden Collage entdecken lässt. Das Paar, das sich schon optisch gleicht, gibt es zweimal, die Szenen, die sie verbinden, auch: Sie sind nackt, er sitzt am Klo - was Godard auch akustisch zu unterstreichen versteht -, sie will von Gleichheit reden, dann fließt Blut. Godard selbst sprach in Cannes schelmisch von einer einfachen Geschichte. Leicht aufschlüsselbar ist sie, wenig überraschend, nicht. Ein Paar, zwei Paare, wer weiß das schon so genau. Die Spielarten einer (Geschlechter-)Differenz, die sich in politischen, ideologischen Grabenkämpfen fortsetzt, mögen ein Pfad oder ein Irrweg sein.

Ein anderer entscheidender Protagonist ist Roxy, und Roxy (Miéville, nach JLGs Lebensgefährtin) ist ein Hund. Die Natur, das Tier, das Tier in der Natur, im Wald, am Fluss. Der Hund, der von Godard mit der Kamera begleitet wird, ist vielleicht die Spur, die aus der Zerrissenheit hinausführt, in ein anderes Regime, das vor der Sprache und anderen ungenügenden Zeichensystemen liegt. "Tiere sind nicht nackt, weil sie nackt sind" - ein Zitat des Philosophen Jacques Derrida. Godard ist auf den Hund gekommen, weil dieser sich eben nicht darstellt, sondern ganz einfach ist, eins mit der nunmehr nackten, aber nicht entblößten Realität. Die Bilder des Hundes, sein Blick führen zu einem unmittelbaren Kino, wobei 3-D an dieser Stelle zur Metapher der hündischen Wahrnehmung wird. Das Überraschende daran ist, dass Godard in den Naturaufnahmen zu einer eigenen Form von Poesie (zurück)findet. Ein kleines Arkadien?

Adieu au langage ist deshalb vielleicht nur ein halber Abschied. Er ruft das Kino in seiner größtmöglichen Durchmischung mit anderen visuellen Formaten ab. Die drei Filmkritiker der renommierten amerikanischen Kunstzeitschrift Artforum haben ihn soeben unisono zum Film des Jahres gewählt. Es ein unreiner, ein frecher, ein melancholischer Film: einer, den man (mehrmals) gesehen haben sollte. (Dominik Kamalzadeh, DER STANDARD, 11.12.2014)