Tritt eine Spirale der Gewalt los und kennt dabei keine Reue: Macon Blair als einsamer Rächer Dwight in "Blue Ruin".

Foto: Einhorn

Wien - Was geschehen ist, kann nicht rückgängig gemacht werden. Also kann Dwight Evans (Macon Blair) genauso gut endlich in einem Bistro eine warme Mahlzeit zu sich nehmen und für kurze Zeit die Leichen vergessen, die mittlerweile seinen Weg pflastern. Dass in diesem Augenblick der Klassiker No Regrets von Little Willie John zu hören ist, passt sehr gut zur melancholischen Grundstimmung und zum traurigen Blick dieses Mannes, der die Spirale der Gewalt, in der er sich befindet, bewusst losgetreten hat und ohne Reue bezüglich der Konsequenzen. Dwight hat sich mit einem Familienclan angelegt, der seine Eltern auf dem Gewissen hat. Dwight hat wenig Chancen, dem Tod zu entkommen, aber die Rolle des einsamen Rächers verleiht seinem Leben wieder Sinn.

Zurück in die Zivilisation

Blue Ruin erzählt die auf wenige Tage komprimierte Geschichte dieses Mannes, über dessen Vergangenheit man wenig mehr erfährt als die schreckliche Tat, deretwegen er völlig aus der Bahn geworfen wurde. Der verbeulte Wagen, in dem er am Strand wohnt, ist mit Einschusslöchern überzogen, sein struppiger Vollbart und die schmutzige Kleidung machen ihn menschenscheu. Erst die Entlassung desjenigen, dem er die schreckliche Tat zur Last legt, holt ihn zurück in die Zivilisation.

Schon dieser erste Akt der Rückverwandlung macht Blue Ruin zu einem unkonventionellen Rachethriller: Dieser Mann setzt sich gerade dadurch, dass er für seinen Feldzug auch äußerlich seine alte Identität zurückgewinnen muss, der Gefahr aus.

Jeremy Saulnier, der sich vor allem als Kameramann für den US-Independentfilmemacher Matt Porterfield (Putty Hill, I Used to Be Darker) einen Namen gemacht hat, erweist sich in seiner zweiten Regiearbeit als versierter Kenner des Genrekinos, der nicht nur aus dem einschlägigen Repertoire an Motiven zu schöpfen weiß, sondern die Standardsituationen auch gewitzt durchspielt und damit der Erzählung teilweise absurd-komische Momente verleiht. Wie lange man in diesem Film etwa mit einem Gefangenen im Kofferraum unterwegs sein kann, ist keine Frage des Kalküls, sondern eine von Unvermögen, Nervosität und Verzweiflung.

Dass die absolute Planlosigkeit, mit der sich dieser überspannte Held konfrontiert sieht, ihn dennoch scheinbar stets das Richtige tun lässt, ist ausschließlich seinem Instinkt geschuldet. Saulnier übersetzt diese Dynamik in hastige Dialoge und fieberhafte Blicke, die das Geschehen vorantreiben und ins unausweichliche Finale münden. Die symbolische Ruhe, mit der Blue Ruin endet, ist konsequenterweise eine nach einem Gewittersturm. Erst dann geht es ans Aufräumen. (Michael Pekler, DER STANDARD, 11.12.2014)