ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner holte sich Anregungen für Visionäres: Die Bildungsdebatte auf "Gesamtschule ja oder nein" zu reduzieren ist den Schwarzen zu wenig. Ab Jänner will man in der Bund-Länder-Arbeitsgruppe ins Tun kommen.

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Wien – Da war er wieder, Dienstagabend im Dachfoyer der Wiener Hofburg: Der "Critical Friend", den die ÖVP neuerdings so gerne in Bildungsfragen konsultiert. Und wäre Jörg Dräger nicht als Vorstandsmitglied der deutschen Bertelsmannstiftung ebenso ein Polit- und Medienprofi wie Harald Mahrer, schwarzer Staatssekretär im hiesigen Wissenschafts-, Forschungs- und Wirtschaftsministerium, könnte man es dem deutschen Ratgeber glatt abnehmen, dass er sich nicht ganz an die ihm vom Drehbuch zugeschriebene Rolle halten wollte.

Dräger will nämlich folgende Jobdescription von Mahrer für diesen Abend mit auf den Weg bekommen haben: "Sag einfach das, was du heute Morgen schon gesagt hast." Da hatte die ÖVP ihren Tag der Bildung im Kreis von rund 80 Experten begonnen, die sich über Sorgen über und Empfehlungen für das heimische Bildungssystem austauschten. Aber, so Dräger: "Das war mir zu langweilig." Sein Gegenvorschlag: zehn bis 15 Jahre weiter in die Zukunft der Bildung zu schauen. Daraufhin habe Mahrer angeblich geantwortet: "Zu risikoreich!"

"Bad Cop" Mahrer

Am Ende war es von beidem etwas. Schließlich will man auch bei der ÖVP, "dass wir im Bildungsbereich endlich Meter machen", gibt Mahrer die Richtung vor. Und dafür mimt er dann auch gerne den "Bad Cop", der sich vom gewogenen Kritiker von außen die gewagten Zukunftsszenarien an die Wand projizieren lässt. Von "Flipped Classroom" ist da auf der Leinwand in der Hofburg zu lesen, einer Art umgedrehtem Klassenzimmer unter Zuhilfenahme digitaler Technik mit dem Ziel, dass sich Schüler Faktenwissen zu einem Großteil selbst über Lernvideos zu Hause aneignen und der Lehrer im eigentlichen realen Klassenraum mehr Zeit für das individuelle Kind hat. Ein Projekt, das dem Staatssekretär bei seiner Ideentour in Berlin vor zwei Wochen gut gefallen hat.

Heute darf Dräger über Bildung 2.0 sinnieren. Und er geht noch weiter. Wenn er etwa von Lernvideos in den USA berichtet, die genau dann stoppen und zurückspielen, wenn die Kamera erste Unaufmerksamkeiten des Schülers misst, sei das zwar "ein bisschen Big brother is watching you", aber, so Dräger: "Wir müssen die Potenziale der Digitalisierung erschließen."

Grabenkampfmodus

Am abendlichen Podium waren sich die geladenen Bildungswissenschafter Christiane Spiel und Stefan Hopmann (beide Uni Wien) mit Lehrergewerkschafter Paul Kimberger und Dräger jedenfalls über das Potenzial einer Entemotionalisierung der Debatte über die beste Schulstruktur einig. Ganz im Sinne Mahrers, der sich gleich zu Beginn wünschte, "aus dem Grabenkampfmodus der letzten 25 bis 30 Jahre" herauszukommen. Kimberger will aber noch etwas hinter sich lassen: den "Projektwahnsinn" und die "Innovationshysterie mancher Bildungsexperten".

Jene am Podium fühlten sich jedenfalls nicht angesprochen, und so legte rechts vorne Herr Hopmann seine Sicht der Debatte dar: Das erste Mal, dass er an einer solchen Veranstaltung teilgenommen habe, sei vor etwa 43 Jahren gewesen. Als Landesschulsprecher habe er damals das Gefühl der "unmittelbaren Dringlichkeit" der Sache gehabt. So auch heute, allerdings in seiner Rolle als Großvater schulpflichtiger Enkelkinder. Seine Botschaft, immer noch: "Ich wünsche mir eine starke Schule", eine, "wo die Kinder rausgehen und sagen: 'Boa, ich war da.'" Heißt: Autonomie und Mut, diese zu nutzen.

Kollegin Spiel nutzte die von der ÖVP gebotene Plattform auch, um auf eine Schwachstelle der Regierungspolitik hinzuweisen. So falle die Bildungsforschung, wie auch sie selbst sie am Institut für angewandte Psychologie durchführe, "momentan zwischen alle Fördertöpfe": für Grundlagenförderung ungeeignet, für andere Fördertöpfe ebenso.

Viele Bälle für Mitterlehner

Vizekanzler Reinhold Mitterlehner fing so manchen Ball aus der Debatte auf – diesen nicht. Auch er bekannte: "Wir sollten die Stärke haben, in der Autonomie entscheiden zu dürfen", will die tausenden Schulversuche "irgendwie auf den Punkt bringen" und die leidige Gesamtschuldebatte endlich als "Allheilmittel" abschreiben. Und er nahm an diesem Abend sogar manchen Ball in die Hand, der tagsüber noch kaum angefasst wurde – etwa wenn es um die "Selektionsfrage" in der neuen Lehrerausbildung geht. Hier fragt sich der ÖVP-Chef: "Was, wenn sich herausstellt, dass jemand nicht geeignet ist?"

Anderes versprach der ÖVP-Chef "wertschätzend aufzubereiten" und in die im Jänner startende Arbeitsgruppe aus Vertretern von Bund und Ländern einzubringen. Etwa die Frage "Wie schaut's bei der Lehrerfortbildung aus mit der Verpflichtung?". Sagt ja auch Dräger, dass das ein schnell und billig zu erreichendes Ziel ist.

Alles in allem: Viel schwarzes Reformbekunden, das auch bei einigen der 80 Experten gut ankam. Daneben gibt es aber immer noch gute alte ÖVP-Positionen, wenn etwa Generalsekretär Gernot Blümel auf der Parteihomepage das Gymnasium weiter zur "unverzichtbaren Schulform" erklärt. Blümel zeichnet übrigens mit Mahrer für den schwarzen Parteireformprozess verantwortlich. (Karin Riss, DER STANDARD, 10.12.2014)