Mit Medikamenten böse Krebszellen abschießen: Das Shooter-Spiel "Re-Mission" ist ein sogenanntes Serious Game, das den Umgang mit Krebs erleichtern soll.

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Wien - Das Leben ist zu kurz und zu ernst, um es mit Videospielen zu vertrödeln. Das war lange Zeit eine verbreitete Meinung unter Erwachsenen. Games sah man nur als Kinderspielzeug für Heranwachsende. Jedoch haben sich die Zeiten geändert - durch den demografischen Wandel und den technischen Fortschritt: Die digitalen Eingeborenen wurden groß, und Games gehören in den meisten Haushalten selbstverständlich zum Inventar. Das Computerspielen ist zu einer Kulturtechnik geworden. Wie sich diese soziale Praxis über den vergnüglichen Zeitvertreib hinaus nutzen lässt, darüber zerbrechen sich inzwischen auch österreichische Wissenschafter die Köpfe.

"Gamification" bezeichnet den Sammelbegriff dieser Bemühungen. Unter dem Schlagwort versteht man den Einsatz von Spielprinzipien in Bereichen, die eigentlich nichts mit Spielen zu tun haben. Belohnungspunkte, Highscore-Listen, Energiebalken oder der Wettbewerb gegen die Zeit und andere Personen sind wesentliche Elemente, die unsere Motivation in Spielen aufrechterhalten. Gamification bedeutet, diese Elemente im realen Leben einzuführen, dort wo Menschen sonst weitaus weniger Spaß haben und entsprechend weniger begeistert zu Werke gehen. Mit dem Einsatz spielerischer Elemente - elektronisch oder ganz real - will man die Motivation erhöhen, Fertigkeiten verbessern und den Wissensstand erweitern.

Motivation durch Games

Gamification-Ansätze werden inzwischen in der Bildung zur Wissensvermittlung, in der Arbeitswelt zur Motivation von Mitarbeitern, bei der Vermarktung von Produkten, aber auch zur Bewusstseinsbildung von Bürgern und Konsumenten eingesetzt. Jedoch findet dieser Trend nicht nur Befürworter. Der prominente Medientheoretiker Evgeny Morozov etwa befürchtet, dass den Menschen der moralische Kompass abhandenkomme, wenn sie bald Entscheidungen nur noch im Hinblick auf spielerische Belohnungssysteme treffen.

Kai Erenli, Leiter des Studiengangs Film-, TV- und Medienproduktion der FH des BFI Wien, sieht das nicht so düster: "Das ist mir etwas zu schwarz gemalt. Man darf das nicht so rigoros sehen, dass jetzt nur noch Gamification auf eine bestimmte Art und Weise betrieben wird und es daneben nichts anderes mehr gibt. Die Entwickler stehen, wie auf dem Spielemarkt, unter einem großen Innovationsdruck, weil jedes Spielprinzip den Benutzer irgendwann wieder langweilt."

Da Gamification unmittelbar mit der Motivation und der Vermittlung von Inhalten zusammenhängt, hätte dieses Prinzip vor allem im Bildungswesen Potenzial, sagt Erenli. Der FH-Forscher hat Ende November den European Immersive Education Summit organisiert, wo internationale Experten neueste Ergebnisse auf diesem Gebiet vorstellten. "Viele Schüler und Studenten spielen in ihrer Freizeit. Dabei erwerben sie Fertigkeiten, die auch bei der Vermittlung anspruchsvolleren Wissens eingesetzt werden können. Doch viele Lehrende lassen sich diese Möglichkeit entgehen", konstatiert Erenli. Er konzipiert in seiner Forschung konkrete Gamification-Ansätze, evaluiert sie und setzt sie selbst in der Lehre ein.

Um sich Wissen anzueignen, bedarf es Anstrengung. Aber Prinzessinnen zu retten macht doch ungleich mehr Spaß, als Vokabeln zu lernen. Dabei haben das Spielen und das Lernen mehr miteinander zu tun, als man vordergründig annimmt, wie Konstantin Mitgutsch, Mitarbeiter am Game Lab des Massachusetts Institute of Technology in Boston erklärt: "Aus spieltheoretischer Sicht ist jedes Spiel ein Lernspiel. Durch das Lernen aus Fehlern verbessern sich die Spielenden mit jeder Aufgabe. Dabei ermöglicht die spielerische Herausforderung ein lustvolles Scheitern und fordert die Spielenden auf, zu lernen und sich zu steigern." Der gebürtige Salzburger erforscht zweckgebundene Spieledesigns in Bezug auf Lernprozesse und insbesondere die Rolle, die der Perspektivenwechsel dabei spielt.

Mitgutsch betont, dass Spielen per se nicht unbedingt Lernprozesse anstößt. Die Übertragung von im Spiel Gelerntem in die Realität zeige die "Achillesferse des digitalen Spielens". "Spiele sind nicht designt, um nach dem Abschalten eine Wirkung auf den Spielenden zu haben. Sogar jene Spiele, die einen realen Zweck verfolgen - sogenannte Educational Games oder Serious Games - scheitern meist am Transfer vom Spiel in den realen Kontext. Das ist die gute Nachricht für all jene, die befürchten, gewalthaltige Spiele würden gewalttätig machen - und die schlechte Nachricht für jene, die meinen, kluge Spiele machen automatisch klug."

Illusion und Wissenstransfer

Laut Mitgutsch können und werden Spiele daher nicht die Lehrenden ersetzen. Schließlich erschwere der Illusionscharakter von Games den Wissenstransfer, weshalb es einer helfenden Hand bedürfe, wenn der Spieler sich in einer anderen Welt bewegt: "Hier wird die bis heute unterschätzte Bedeutung des pädagogischen Handelns beim Einsatz von Spielen deutlich. Während des Spielens ist eine kritische Position gegenüber dem Erlernten oft nur schwer möglich, und so muss diese von außen angeregt werden. Sind Lehrende in der Lage, zwischen virtuellem und realem Kontext eine Verbindung herzustellen, kann das pädagogische Handeln den Transfer ermöglichen."

Diese Fähigkeit haben aber hierzulande noch längst nicht alle Lehrenden, wie Martin Ebner von der Abteilung für Vernetztes Lernen der TU Graz, einwendet. Er und sein Team forschen daran, wie sich iPads im Schulunterricht einsetzen lassen und entwickeln dazu Apps zur spielerischen Vermittlung von Lehrinhalten, die frei zugänglich sind und bereits an österreichischen Schulen im Einsatz sind. Dabei konzentrieren sich die steirischen Wissenschafter auf solche Programme, bei denen die Schüler nicht einsam am Tablet arbeiten, sondern durch die Vernetzung der iPads Aufgaben gemeinsam lösen.

Seiner Meinung nach seien sich viele Lehrende noch immer nicht im Klaren über die Möglichkeiten, die die Technik für den Unterricht bietet, und verteufeln diese Geräte, obwohl diese ein wichtiger Bestandteil der Lebenswelt vieler Schulkinder sind. Ohnehin spielt laut Ebner der Umgang mit der Technologie in hiesigen Klassenzimmern eine noch zu geringe Rolle, um solche Neuerungen weitreichend zu testen: "Die aktuellen Lehrpläne sind darauf noch gar nicht vorbereitet. Es ist mit Blick auf die Zukunft dringend notwendig, zu vermitteln, was es heißt, mit solchen Geräten ständig zu arbeiten. Das passiert in Österreich aber immer noch sehr unreflektiert. Dabei ist Medienbildung meiner Meinung nach inzwischen genauso wichtig wie die Fächer Deutsch und Mathematik." (Johannes Lau, DER STANDARD, 10.12.2014)