Die Everglades sind Floridas grünes Wahrzeichen. Mehr als 6000 Quadratkilometer dieses Marschlandes wurden als Nationalpark geschützt. Da sollte man eigentlich meinen, dass Begriffe wie "öko" oder "bio" zur Beschreibung eines intakten Ökosystems ein Overkill sind. Falsch gedacht: Seit 1979 gehören die Everglades zum Weltnaturerbe der Unesco. Doch seit 1993 werden sie wegen der zunehmenden Umweltverschmutzung durch Düngemittel und die Trockenlegung der Umgebung als bedroht eingestuft, stehen also auf der Roten Liste des gefährdeten Welterbes.

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Ganze Flotten von Tourbussen haben es sich mittlerweile zur Aufgabe gemacht, von Miami aus explizit Orte und Menschen in den Everglades anzusteuern, die mit Ökologie tatsächlich noch etwas am Hut haben. Die Wiederentdeckung der Natur soll Spaß machen und wie ein Lifestyleprodukt konsumiert werden können - "Eco-Chic" nennt man das neuerdings in Florida. Auf der "Three waterholes tour" etwa, "waterholes" meint Wasserlöcher für Tiere, hält der Bus überraschenderweise zuerst vor einer Gemüsefarm an der Landstraße. Ihr Name: "Robert is here".

Dahinter steckt die Story eines echten Selfmademan, die Verkörperung des amerikanischen Traums. 1959 versuchte der sechsjährige Robert Moehling, Gurken aus dem elterlichen Garten an der Straße vor dem Haus zu verkaufen. Keines der Autos hielt. Also hängte der Vater am nächsten Morgen zwei große Schilder vor den Stand: "Robert is here". Mittags war die Ware weg - ein Lehrstück in Marketing.

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Robert erweiterte das Angebot bald auf Tomaten und Obst, und als seine Schulaufgaben mehr wurden, stellte er mit nur neun Jahren die Nachbarsfrau ein. 55 Jahre später ist Robert immer noch da, sein Shop und er selbst sind längst eine Legende. "Esst regional und saisonal" lautete das Motto einer bewusst biologischen Ernährung angeblich von Anfang an. Keine Selbstverständlichkeit in den 1960er-Jahren, nicht in Florida, und auch nicht in Europa.

Hüfttief in der Natur

Der nächste Stopp des Ökojünger-Tourbusses führt an den Rand der Everglades - zu Charles Kroepke. Der watet auf seinen "Backwater Tours" lieber hüfttief mit seinen Gästen durch die Mangroven, als dekadent mit den für Florida typischen Airboats durch den Sumpf zu preschen. "To get in touch with nature", nennt er das. Er hat aber auch eine Lightversion im Programm: Auf dem Anhinga-Trail, der nach dem Schlangenhalsvogel benannt ist, geht es eine Stunde auf Holzstegen quer über Teiche durch den Everglades National Park.

Nach nur 300 Metern Fußmarsch ragen zwischen Seerosenblättern die geschuppten Rücken ausgewachsener Alligatoren aus dem Wasser. Charles wippt in Cowboy-Boots auf dem Steg und erklärt den Unterschied zwischen Krokodil und Alligator. Grob gesagt liegt der darin, dass Krokodile meist schlanke, keilförmige Köpfe haben, während die Schnauze bei Alligatoren und Kaimanen kürzer und vorn an der Spitze runder ist.

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Dann erzählt er von den rund 800 Mikasuki-Indianern, die noch immer in den Sümpfen leben: "Während der Sezessionskriege flohen sie hierher, sie sind das einzige Volk der USA, das nie einen Vertrag mit der Regierung unterschrieben hat." Er wirkt stolz, dass er einen von ihnen als Freund hat. Sein Unternehmen Dragonfly Expeditions bietet mittlerweile 56 Touren im grünen Gürtel rund um Miami an. Zusammen mit seinem deutschen Partner Uwe Döringer, einem studierten Theologen, will er Besuchern die Natur, Geschichte und Kultur Floridas nahebringen. "Ich möchte den Fokus weg von den Klischees auf das authentische Florida lenken", sagt Charles.

Die Guides von Eco-Adventures gehen unterdessen nur fünf Autominuten südlich von Downtown Miami, rund um die Insel Key Biscayne, mit Touristen aufs Wasser. Zu zweit in bananengelben Kajaks zu paddeln ist hier eine typische Naturerfahrung der "Vorstadt": Am Ufer schwappt das Wasser über Mangrovenwurzeln, und gleichzeitig erfassen die Augen in der Ferne die Silhouette der 400.000-Einwohner-Stadt.

Grünes Museum

Doch auch in Miami selbst versucht man, Naturnahes mit Lifestyle zu kombinieren. Das aktuell beste Beispiel ist das vor einem Jahr eröffnete Pérez Art Museum Miami, das von den Schweizer Architekten Herzog und de Meuron konzipiert wurde. Es knüpft an die Tradition der in der Biscayne Bay beheimateten Pfahlhäuser an - auch aus funktionellen Gründen. Die untere Etage liegt dank dieser Konstruktion sechs Meter über der Hochwassermarke, was den Schutz der unter anderem im Rahmen der Art Basel Miami gezeigten Kunstwerke garantieren soll. Und als Green Building geht der Bau wohl schon deshalb durch, weil vor der Fassade ein hängender Garten installiert wurde.

Im nahen Hotel "The James Royal Palm" in Miami Beach versucht man Chic dagegen durch leichte Küche schmackhaft zu machen. Auf der Karte des Hotelrestaurants Florida Cookery stehen regionale Fischarten wie Red Snapper, Grouper, Mahi Mahi für das neue alte Trendfood Ceviche. Das ist fangfrischer roher Fisch in Würfeln, mariniert mit Limetten oder Orangen - die Säure "gart" den Fisch sozusagen. Dazu gibt es frische Kräuter aus dem eigenen Garten.

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Diese Küche steht angeblich für ein "neues amerikanisches Gesundheitsbewusstsein", das sich Restaurants wie Ola, Fontainebleau, The Catch oder eben die Florida Cookery auf die Fahne schreiben. Im ruhigeren Norden Miamis versteht das Canyon Ranch Hotel unter "Eco-Chic" wiederum Sport und gesunde Ernährung: Mehr als 40 Indoor- und Outdoorfitnessprogramme, eine Kletterwand, Boot Camps am Strand oder Kampfsport werden angeboten. Leah Kinsella unterrichtet Yoga und Pilates in der Canyon Ranch: "Hier in Miami brauchst du das ganze Jahr eine Bikinifigur", kommentiert sie ihre schwierige Aufgabe.

Cola ist verpönt, Pommes frites sind verboten

Der hiesige Körperkult spielt ihr tatsächlich reichlich Kundschaft zu, und nur einen Steinwurf weiter, im Restaurant des Hauses, unterstützt man sie bei ihrer harten Arbeit. Hier wird ambitioniert mit biologischen Zutaten gekocht, Softdrinks wie Cola sind verpönt und Pommes frites als Beilage verboten. Im wohlhabenden Aventura-Viertel von Miami liegt schließlich das Turnberry Isle Resort hinter dicken Mauern. Diese umfrieden eine gigantische Golfanlage - eher selten ein Hort für ökologische Begrünungsmethoden -, die in weiter Ferne an Hochhäuser grenzen.

Während der jüngst mit rund 80 Millionen Euro aufgehübschte Hotelbau einen Hauch Riviera-Stil verbreiten soll, kommen der künstliche See samt Insel, die Pools, Palmen und raspelkurzen Rasenflächen doch recht amerikanisch daher. Auf dem Grünstreifen neben der Hotelauffahrt machen Touristinnen ihre Yogaübungen. Gern führt der jamaikanische Chefkoch nachmittags Golfspieler oder Yogaschüler in seinen Garten. Guaven, Limetten, Mangos, Früchte und Kräuter - da wächst alles, was er für einen karibischen Cocktail braucht. Selbstverständlich biologisch angebaut, direkt neben dem Kunstrasen: "Anything goes" lautet hier wohl die Devise. (Franziska Horn, Rondo, DER STANDARD, 12.12.2014)