Wien – Als mangelhaft beurteilen Grundrechts-Experten wie Hannes Tretter (Boltzmann-Institut), Peter Nedwed (Richtervereinigung) und Barbara Helige (Liga für Menschenrechte) den Regierungsentwurf für die Reform des Amtsgeheimnisses. In einem Pressegespräch zum Tag der Menschenrechte gemeinsam mit Rechtsanwälte-Präsident Rupert Wolff lehnten sie zudem die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung ab.

"Ungenügend" ist der Entwurf für das Informationsfreiheitsgesetz für Tretter, weil er zu viele Beschränkungsmöglichkeiten und Ausnahmen (etwa dass Sozialpartner nur ihren Mitgliedern Auskunft geben müssen) enthält. Zur besseren Durchsetzung des Rechts auf Information hält er der Leiter des Boltzmann-Instituts für Menschenrechte eine unabhängige Behörde für nötig. Anders als ein Gericht könnte sie investigativ tätig werden – und damit Informationen finden, die Behörden oder Unternehmen (z.B. in der Causa Eurofighter oder Hypo Alpe Adria) "verstecken".

Ruf nach Ombudsstelle

Peter Nedwed von der Fachgruppe Grundrechte in der Richtervereinigung sieht die Gerichte als "unabhängige Behörden" durchaus imstande, diese Aufgabe zu erfüllen. Aber angesichts der Scheu vieler Bürger, sich gleich an ein Gericht zu wenden, plädierte er für eine vorgelagerte Ombudsstelle. Insgesamt brächte der Entwurf zwar "keinen Rückschritt", aber ob er wirklich Verbesserungen bringt, werde sich erst in Zukunft zeigen.

Helige, die Präsidentin der Liga für Menschenrechte, sieht Regierung, Parlament und Justiz vor einer "Herkulesaufgabe". Denn dass nicht mehr alles, was nicht explizit ausgenommen ist, geheim ist, sei ein "Paradigmenwechsel".

Vorratsdatenspeicherung greift in Grundrechte ein

Ein "klares Nein" gegen die – u.a. vom Justizminister für nötig erachtete – Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung deponierte Bernhard Fink vom ÖRAK-Arbeitskreis Grund- und Freiheitsrechte. Die pauschale Speicherung personenbezogener Daten ohne Anlass greife massiv in die Grundrechte ein. Auch Tretter lehnt eine Nachfolgeregelung vehement ab. Es sei schon richtig, Maßnahmen etwa gegen den Dschihadismus zu setzen. Aber dazu brauche man keine Vorratsdatenspeicherung – zumal diese europaweit so gut wie nie zur Aufklärung terroristischer Straftaten oder Bedrohungen beigetragen habe, sondern für die Klärung "kleiner Handydiebstähle" missbraucht worden sei.

Auch in einer hoch entwickelten Demokratie gelte es, der ständigen Aushöhlung der Menschenrechte entgegenzuwirken. Deshalb habe man sich anlässlich des morgigen Tages der Menschenrechte zum "Schulterschluss" von Richterschaft, Lehre und Anwaltschaft zusammengefunden, erklärte Wolff.

"Verwunderlicher" Ausnahmenkatalog

Prinzipiell begrüßt wurde von den Experten die mit 1. Jänner 2015 startende Möglichkeit für Verfahrensparteien, Grundrechtsbeschwerde beim Verfassungsgerichtshof (VfGH) einzulegen. Aber auch hier bemängelten sie die große Zahl von Ausnahmen. Für Wolff ist es "verwunderlich, dass der Ausnahmenkatalog fast gleich lang ist wie die restlichen Bestimmungen".

Auf einen Grundrechtsaspekt der Steuerreform-Debatte wies Tretter hin: Die "Unfähigkeit bzw. Unwilligkeit" der Regierung, auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen, verstoße gegen die sozialen Grundrechte, kritisierte er u.a. auch die Überlegung, die Mehrwertsteuer etwa auf Bücher oder Lebensmittel anzuheben, oder die Säumigkeit in Verwaltungs- und Strukturreform. Ideologische Schranken überwunden werden müssten auch im Bildungsbereich, pochte Helige auf das Menschenrecht auf inklusive Bildung – wo ebenfalls, trotz großer Defizite, seit Jahren "praktisch nichts" geschehen sei. (APA, 9.12.2014)