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Einst gefürchtet, heute vom Tode bedroht: Zhou Yongkang.

Foto: AP Photo/Alexander F. Yuan, File

Chinas vormals gefürchteter Parteiführer Zhou Yongkang, einst politischer Chef über Polizei, Justiz und Staatssicherheit, muss um sein Leben bangen. Unter Vorsitz von Parteichef Xi Jinping beschloss das Politbüro, ihn wegen schwerster Korruption, Machtmissbrauchs und fünf weiterer Verbrechen aus der Partei auszuschließen, der Generalstaatsanwaltschaft zu überstellen und offiziell verhaften zu lassen.

Überraschend wird Zhou erstmals auch des Hochverrats von Partei- und Staatsgeheimnissen beschuldigt. Ihm droht so nicht nur die Verurteilung zur Todesstrafe, sondern vermutlich auch die tatsächliche Hinrichtung.

Einst "unberührbar"

Hochverrat wird mit der Höchststrafe geahndet – zumeist, ohne den bei Prozessen gegen korrupte hohe Funktionäre üblichen Bewährungsaufschub auf zwei Jahre zu verhängen, der in der Praxis zur Umwandlung des Urteils in lebenslange Haft führt. Wie politisch der Politbüro-Beschluss zu Zhou ist, zeigte sich am Samstagmorgen. Da wurden die ersten Unterstützungserklärungen der Parteiführer aus Provinzen wie Jiangxi, Hubei oder Hunan gemeldet, die der Zentrale ihre Loyalität versicherten.

Zhou war bis 2012 als Mitglied des Politbüro-Ausschuss einer der neun mächtigsten Männer Chinas und galt als Unberührbarer. Der heute 72-Jährige ist nach dem Schauprozess 1981 gegen die linksradikale "Viererbande" um Mao-Witwe Jiang Qing der bisher höchstrangige Funktionär der Volksrepublik, der auf die Anklagebank kommt.

Lange Liste an Vorwürfen

Die Nachrichtenagentur Xinhua hatte die Entscheidung des Politbüros erst um Mitternacht auf Samstag öffentlich bekanntgegeben. Pekinger Zeitungen verschoben ihren Andruck, um mit der Vorverurteilung von Zhou noch vor Beginn des Prozesses auf ihren Titelseiten aufzumachen: Neben Machtmissbrauch, Geheimnisverrat und Korruption wirft die Parteianklage ihm Vorteilsnahme für sich und seine Familie vor sowie sexuelle Ausschweifungen, Verhältnisse mit vielen Frauen und "mutmaßliche andere Verbrechen, die noch untersucht werden müssen". Es ginge um "riesige Summen".

Die "Volkszeitung" kommentierte, dass die Handlungen von Zhou "extrem üble Folgen" hatten und dem Ansehen der Partei "gewaltig schadeten". Peking werde die Aufklärung seines Falles zum Anlass nehmen, um die Kampagne zur Bekämpfung der wuchernden Korruption "in die Tiefe zu treiben" und "dieses Gift bis auf die Knochen abzukratzen."

Die Parteizeitungen klärten den Vorwurf des "Geheimnisverrats" nicht weiter auf. In vorhergehenden Korruptionsprozessen war davon keine Rede gewesen. Auch nicht im Verfahren gegen Bo Xilai, einstiges Mitglied des Politbüros und Chongqinger Parteichef. Dieser wurde im September 2013 zu lebenslanger Haft wegen Machtmissbrauchs verurteilt.

Möglicher innerparteilicher Machtkampf

Die neuartige Beschuldigung Zhous, er habe Parteigeheimnisse verraten, fachte im Internet alte Spekulationen und einstige Putschgerüchte wieder an. Zhou soll diesen zufolge den damaligen Aufsteiger Bo politisch protegiert haben, der ein Konkurrent des heutigen Parteichef Xi Jinping um die Macht in der Partei war. Er soll Bo verraten haben, als sich 2012 in der Pekinger Zentrale die Schlingen um den Chongqinger Parteichef zuzogen. Zum Triumvirat der angeblichen Verschwörer hätte auch der inzwischen ebenfalls festgenommene Vizearmeechef und General Xu Caihou gehört. Hinter der jetzigen Abrechnung mit Zhou verberge sich daher nur ein innerparteilicher Machtkampf, den Parteichef Xi gewonnen habe.

Andere Blogger spekulierten, dass die Verratsvorwürfe konstruiert seien. Pekings Führung habe nur einen Vorwand gesucht, um den heiklen Prozess gegen Zhou mit Verweis auf die angeblichen Geheimnisse unter Ausschluss der Öffentlichkeit führen zu können.

Zhous Aufstieg und Fall

Bevor Zhou 2007 bis 2012 unter der Vorgängerregierung Hu Jintao im Politbüroausschuss den Sicherheitsapparat kontrollierte, war er von 2003 an fünf Jahre Chinas Polizeiminister gewesen. Die Korruptionsfälle, die ihm nun angelastet werden sollen, beziehen sich offenbar alle auf seine Tätigkeiten vor 2003.

Zhous Aufstieg vollzog sich vom Ölminister (1985–1988) über den Chefposten des nationalen Staatskonzern CNPC/Petrochina zum Minister für Boden und Ressourcen und zum Provinzparteichef von Sichuan (1999 bis 2002). Auf all diesen Stationen seiner Karriere baute Zhou seine politische und wirtschaftliche Hausmacht aus. Über seine Seilschaften kontrollierte er am Ende viele Schaltstellen für Öl, Energie, Bodenressourcen, Provinzpolitik und Polizeifunktionäre.

Mit Zhou wurden inzwischen landesweit mehr als hundert seiner Vertrauten, darunter Provinzführer, Minister und Konzernleiter, wegen Korruption festgenommen. Unter ihnen sind allein 40 hohe Funktionäre aus Sichuan, sechs seiner einstigen Sekretäre und ein Dutzend Familienmitglieder. Chinas Führung rollt mit dem Fall Zhou ihren weitreichendsten Korruptionsfall auf.

Verfolgung Andersdenkender

Als Parteiaufseher über den gesamten Repressionsapparat setzte Zhou auch Pekings Politik der "politischen Stabilität um jeden Preis" durch. Er überwachte die Verfolgung politischer Dissidenten, religiöser Gruppen und nationaler Minderheiten. In seine Zeit fallen die rechtsbeugenden Verurteilungen des Friedensnobelpreisträgers und Bürgerrechtlers Liu Xiaobo zu elf Jahren Haft und die Verfolgungen von Andersdenkenden, vom blinden Bauernanwalt Chen Guangcheng bis zum politischen Konzeptkünstler Ai Weiwei.

Doch wegen solcher Unrechtsfälle steht Zhou nicht vor Gericht. Da hat er offenbar auch im Sinn der heutigen Pekinger Führung einst alles richtig gemacht. (Johnny Erling aus Peking, derStandard.at, 9.12.2014)