Irritierende Momente und ein Unterlaufen des westlichen Blicks auf Kleidervorschriften religiös geprägter Kulturen. "Junction" aus Nilbar Güres "TrabZone Series".


Foto: Nilbar Güres, Courtesy Galerie Martin Janda, Wien / Rampa Istanbul

Innsbruck - "Warum tragen Sie kein Kopftuch?", wurde die 1977 in Istanbul geborene Künstlerin bei ihrer Aufnahmeprüfung an der Wiener Akademie der bildenden Künste gefragt. Die Wut darüber, in das Rollenklischee einer muslimischen Frau gedrängt zu werden, war Anlass für die Videoarbeit Undressing (2006).

Güres befreit sich darin von einer grotesken Menge Kopftücher, die um ihren Kopf gebunden sind. Mit jedem abgelegten Tuch spricht sie den Namen einer Freundin, zum Schluss gibt sie ihre eigene Identität Preis. Es ist das Unterlaufen traditionalistischer Rollenzuweisungen, die Frage nach der gesellschaftlichen Sichtbarkeit von Frauen wie auch der Blick des Westens auf die Kleidervorschriften religiös geprägter Kulturen, die die Künstlerin ins Zentrum ihrer Arbeiten rückt.

Soziallandschaften

Die Fotografien sind präzis komponierte Soziallandschaften. In Selfcencorship (2010) beugt sich eine ältere Frau aus dem ersten Stock eines Schuppens und schirmt eine am Boden stehende junge Frau mit einem großen Stück Stoff ab. Es könnte sich um die Mutter handeln, die hier ihre Tochter bevormundet. Demand More (2010) zeigt ein lesbisches Paar mit Baby in einem Zimmer zwischen weiblich und männlich konnotierten Gegenständen. An der Wand hängt ein Poster des türkischen Superstars Tarkan, der bis heute seine Homosexualität geheim halten muss.

Der Balanceakt zwischen Last und Glück der Häuslichkeit wird auch in Overhead (2010) ironisch transzendiert. Eine barfüßige ältere Frau steht im Schlafzimmer und trägt scheinbar mühelos einen riesigen Stapel Bettwäsche auf Händen.

Güres findet in ihren Fotografien und Collagen zu einer geheimnisvollen, symbolisch aufgeladenen Sprache, angesiedelt zwischen orientalischer Ornamentik und westlicher Ikonografie. Fern von Klischees baut sie irritierende Momente ein, wenn etwa im brav gestellten A Family Portrait - Hidden Women (2010) zu viele Hände im Bild auftauchen. Es sind poetische Bildfindungen, geprägt von einer großen Wertschätzung für ihre Protagonistinnen. (Robert Gander, DER STANDARD, 9.12.2014)