"Für fröhliche Gemütszustände muss man eine andere Ausdrucksform finden" : Obwohl selbst keine Trauerweide, findet Andrea Schroeder die dramatischen Dinge des Lebens spannender.

Foto: Jesper Lehmkuhl

Wien - Die Sonne ist gerade untergegangen, und mit einem baldigen Wiederaufgang ist nicht zu rechnen. In der Musik von Andrea Schroeder bricht die Dunkelheit in jedem Lied neu an. Sie singt ihre Lieder und senkt ihre Lider. Schroeders Kunst könnte man jahreszeitenkonform Wintermusik nennen und die Stimmung im elften oder zwölften Monat des Jahres verorten. "Ja", sagt Schroeder, "das stimmt schon, wir gehen auch immer im Winter auf Tour." Where the Wild Oceans End heißt ihr heuer erschienenes zweites Album, das sie nun erstmals nach Wien führt. Am Mittwoch tritt sie mit ihrer Band im Theater Akzent auf.

Where the Wild Oceans End ist ein Berlin-Album, jedoch keines, das mit der Käseglockenwelt von Prenzlauer Berg und seinen Bieder-Hipster-Klischees zu tun hat. In Schreoders Musik sprudeln keine Caffé-Latte-Brunnen zwischen veganen Frühstücksplatten und antiautoritär verzogenen Sargnägeln mit Markenlatz. Ihre Musik ist ein Gruß aus einem anderen Berlin, einem historischen.

Schroeder erwähnt beispielgebend ihren Heimatbezirk Wedding, in dem sie, aus Nordrhein-Westfalen kommend, seit drei Jahren wohnt. "Das ist ein Arbeiterbezirk, und das sieht man ihm und seinen Bewohnern an. Er ist ein bisschen heruntergekommen, aber er besitzt den Charme eines zusehends verlorengehenden Berlin. Hier ist noch nicht jedes Haus renoviert."

Zumindest zwei Lieder machen Where the Wild Oceans End ausdrücklich zu einem Berlinalbum, alle anderen fügen sich stimmungsmäßig prächtig ein. Das eine heißt Ghosts of Berlin, das andere Helden. Es ist eine Coverversion von David Bowies deutscher Fassung seines Liedes Heroes.

Andrea Schroeder

Bowie lebte damals, Ende der 1970er-Jahre in der Mauerstadt. Drei Alben von ihm sind dort entstanden, die sogenannte Berlintrilogie: Low, Heroes und Lodger. In der Zeit drehte Bowie zudem den Film Schöner Gigolo, armer Gigolo. Es war der letzte Film von Marlene Dietrich. Hier schließt sich ein Kreis.

Denn Schroeders Gesang wird seit ihrem Auftauchen mit jenem der Dietrich verglichen. Nonchalant vorgetragen, edelbitter, etwas herb. Der zweite Vergleich, der ebenso naheliegend wirkt, ist jener mit der Depro-Königin Nico. "Solche Verwandtschaften schmeicheln mir natürlich, aber ich singe nicht so, weil ich wie eine der beiden klingen möchte, ich klinge tatsächlich so."

Schroeders Kunst ist die Ballade. Der behebige, elegische Stil konveniert bestens mit ihrem Vortrag. Hin und wieder zerschneidet eine Gitarre die Nacht oder die Geige beschwört die Geister. Schroeder selbst spielt Harmonium, was der Musik eine stimmige Patina verleiht.

Produziert hat das Album Chris Eckman in Norwegen, in einem Studio nahe am Nirgendwo. Dort fand Schroeder den Albumtitel. Eckmann wurde auf sie über ihre Myspace-Seite aufmerksam, schon vor ein paar Jahren. Ihr Debütalbum beschwor noch mehr den Blues, wie man ihn von australischen Schmerzensmännern kennt.

Verregneter Teil des Daseins

Als vielseitiger Produzent hat Eckmann schon verwandte Künstler wie die grandiosen Midnight Choir und deren Meisterwerk Amsterdam Stranded produziert. Seine Produktion ummantelt Schroeders Musik warm und wohlig. Der Schauer diverser herzensgebrochener Untergangsballaden wird so erträglich gemacht, Titeln wie Until the End, Summer Came to Say Goodbye oder Walk Into the Silence leiser Trost gespendet.

Dabei will Schroeder klarstellen, dass sie selbst keine Trauerweide ist, im Gegenteil. Aber die dramatischen Dinge des Lebens findet sie als Künstlerin spannender. "Für fröhliche Gemütszustände muss man eine andere Ausdrucksform finden."

Im verregneten Teil des Daseins, an den kurzen Tagen zwischen den langen Nächten des Nordens, da zählt sie seit ihrem Debüt Blackbird von 2012 zu den neuen "Dark Stars" im Pop und stellt sich in eine Reihe mit den Tindersticks, ohne deshalb wie diese zu klingen. (Karl Fluch, DER STANDARD, 9.12.2014)