Wien - Jeder periodische Prozess kann eine Uhr sein, heißt es. Das klackernde Gewerk mit dem ausschwingenden Pendel in Thomas Baumanns Atelier misst dennoch keine Zeit, zumindest keine Abfolge genormter Einheiten wie Stunden, Minuten oder Sekunden. In seinem Objekt, dessen Mechanismus dem eines alten Uhrwerks mit Gewichtszug folgt, sind diese getilgt. Vielmehr sei The Big Why? (2012-2013) ein Metronom. "Ein Impulsgeber, der eindeutig eine menschliche Lebensspanne überdauert - falls man ihn nicht mutwillig zerstört."
Geschmiedete Zahnräder, Edelstahlkugellager, geeignet für 8000 Umdrehungen pro Minute: "Das ist gebaut wie ein Motor." Langlebigkeit und der Mensch als Relationsgröße sind wichtige Stichworte. "Du wirst es nicht erleben, dass sie nicht mehr tickt." Eine Arbeit zu realisieren, die genau das vermittelt, war Baumanns Motivation. Eine Idee, die wie so oft über Jahre im Kopf zirkulierte, bevor sie diese präzise Form fand.
Spaß am Denken in logischen Zusammenhängen
Im Spaß hieß es, "die tickt 1000 Jahre", erzählt er. Trotzdem birgt der Scherz den Gedanken an das, was überdauert, an das, was bleibt. Momentan limitiert der physikalische Raum den von der Schwerkraft geregelten Mechanismus: Das Ticken stoppt, sobald der Gewichtszug am Boden aufsetzt. Aber "wir haben das eh mal bis zum Erdmittelpunkt ausgerechnet", sagt Baumann und lacht. Ticken bis zum Verglühen im Magma. Ein schönes, auch poetisches Bild. Vielleicht sogar ein bisschen tragisch. Aber ein gutes Beispiel für sich öffnende Gedankenuniversen.
Solche Dimensionen zum Thema Raum und Zeit eröffnen ihm etwa Meldungen wie jene jüngste über ein von Astronomen erspähtes supermassives Schwarzes Loch, anhand dessen man sich erhofft, Einsteins Gravitationswellen nachzuweisen. "Ein gewisses Maß Spaß am Denken in logischen Zusammenhängen braucht es schon", räumt Baumann ein, streitet jedoch eine besondere Affinität zu Physik und Technik ab.
John Cage hätte lieber später gelebt
Das wäre eher generationsbedingt, sagt der 1967 in Altenmarkt (Salzburg) Geborene, der an der Akademie der bildende Künste Bildhauerei (Bruno Gironcoli) und Grafik (Max Melcher) studiert hat. Von John Cage heißt es, er hätte lieber zu einer späteren Zeit gelebt, weil er sich davon damit einen besseren Zugang zur Technik versprochen habe. Und tatsächlich sei dieser Zugang seit den 1990er-Jahren wirklich leichter. Automatisierung, Kinetik, Programmiersprachen sind für Baumann heute so selbstverständliche Umsetzungsmöglichkeiten wie das Medium Malerei.
So sind auch Baumanns angewandte technische Fertigkeiten von Projekt zu Projekt gewachsen - und damit auch sein kleiner Maschinenpark von der Drehbank übers Schweißgerät bis zur Metallfräse. "Beim Entwickeln ergeben sich Lösungen, und es fließt auch eine ganz andere Ästhetik und Form ein." Obwohl das Auslagern des Tüftelns schon allein aus Kostengründen unmöglich wäre.
Wellen aus Licht, Metall und Wasser
Baumanns kinetische Maschinen erzeugen Resonanzen, Schwingungen visueller und akustischer Natur, sie produzieren Wellen aus Licht, Metall, Wasser, schließen Kreisläufe, tarieren und pendeln aus: Trotz aller technischen Raffinessen sind das Essenzielle seiner Arbeiten freilich die reduzierten Ideen - etwa zur Freiheit und Gleichheit, zu Prozessen der Zerstörung. Und zur Zeit.
Mitte der Neunzigerjahre wird der Moment der maschinellen Bewegung in seinem - auch Film, Zeichnung und Malerei umfassenden - Werk greifbarer. 1999 entsteht mit Asilver der Vorläufer zu Wallsilver: Eine silberne Folie, die sich wie von Geisterhand bewegt modelliert und transformiert. Das Auf- und Zusammenfalten, Aufbäumen und Zusammenknittern bildet einen steten Vorgang von Konstruktion und Dekonstruktion ab. Der animierte Zauber lässt die dem Formenwandler zugrunde liegende Programmierung vergessen. Stattdessen ruft er Gedanken an subjektives Lebendigsein, an Wesenheiten wach, die dann doch von einer fremden Macht gesteuert sind.
Ein kleines Meer erfinden
Es ist ein verführerisches, den Betrachter fesselndes Moment. Dieses Zeit bindende Involvieren reizt Baumann auch. Seine Wasserwelle Wak - aus der Sehnsucht entstanden, "ein kleines Meer zu erfinden" - beobachteten die Kinder in Basel stundenlang ohne Langeweile; das hätte er sich nicht erwartet. Das Einschließen von Zeit, diese in einem Objekt zu visualisieren, gelingt Baumann aber auch ganz ohne Technik. Booking Duchamp (2008/2009) ist ein Remake von Marcel Duchamps The Unlucky Readymade (1918). "Duchamp wollte, dass sich die Gesetze der Geometrie mit den Gesetzen der Natur messen."
Statt eines Geometriebuchs, dessen 13 Monate langen Auflösungsprozess Baumann fotografisch dokumentierte, zieht er 2011 Die Verfassung der Freiheit des österreichischen Ökonomen und Nobelpreisträgers Friedrich August von Hayek heran. Nicht an der Natur, sondern an den Bedingungen Detroits nach dem verheerenden wirtschaftlichen Kollaps der Stadt mussten sich dessen Gesetze der Ökonomie messen.
Das große Warum
Baumann wuchs selbst in einer ehemaligen Industriegegend südlich von Wien auf - die Textilbetriebe begannen dort in den 1970er-Jahren, nach und nach zu schließen. Ihn interessiert daher nicht nur die vertraute Ästhetik des Verfalls, sondern die Frage, wie das aussieht, wenn eine ganze Stadt pleitegeht. "Detroit ist wie Science-Fiction, nur eben keine Fiktion." Detroit habe etwas "Endzeitmäßiges" und ermögliche einen Blick in die Zukunft. "Politiker oder Manager können dort in kurzer Zeit realisieren, was passiert, wenn sie einen schlechten Job machen."
Über das postindustrielle bzw. postfordistische Zeitalter und Gesellschaftsformen, in der die Hierarchie von Zeit als Messeinheit von Arbeitsprozessen gebrochen wird, geraten wir wieder zurück zu Baumanns The Big Why und seinen zerschlagenen Uhrgehäusen (Ohne Titel, 2013) - und damit auch zu einer weiteren Ebene seiner Zeitphilosophie. Vom Metronom stetig angetrieben, aber der Zeit verlustig geworden: Diese Gesellschaftsmechanik hat er in eine lebendige Skulptur verwandelt. (Anne Katrin Feßler, DER STANDARD, 6.12.2014)