Cassandra Wilson singt im Festspielhaus St. Pölten.


Foto: Will Sterling

Ihren dunklen, sinnlichen Alt erkennt man am ersten Ton: Wohl kaum eine Sängerin des Gegenwartsjazz kultiviert in ihrer Stimme ein derart unverwechselbares Timbre wie Cassandra Wilson, die so mit wenigen Tönen Atmosphäre zu erzeugen, Geschichten zu erzählen weiß. 20 Jahre sind vergangen, seit die Sängerin aus Jackson, Mississippi, die 1982 nach New York gekommen war und sich dort dem experimentellen M-Base-Kollektiv um Saxofonist Steve Coleman angeschlossen hatte, ihren Durchbruch feiern konnte.

Der Vertrag mit dem reaktivierten Blue-Note-Label ebnete den Weg, die ersten beiden, von Craig Street produzierten Alben Blue Light 'Til Dawn (1993) und New Moon Daughter (1995) gelten bis heute als funkelnde Preziosen in Wilsons Diskografie: kleidete sie dabei doch sowohl alte Country-Blues-Hadern von Robert Johnson bis Son House als auch Popsongs von Van Morrison und Joni Mitchell in intime, sparsam und gitarrenlastig instrumentierte Folkjazz-Arrangements ein, die ihre Stimme wirkungsvoll zur Geltung kommen ließen.

In den letzten Jahren ist es um die 59-Jährige ruhiger geworden; 2008 konnte sie mit der mitreißenden Swing-Hommage Loverly punkten, die nachfolgenden Alben überzeugten nicht im selben Maße. Aktuell nimmt die Sängerin Kurs auf das im kommenden Jahr anstehende Billie-Holiday-Anniversarium und interpretiert mit ihrer Band Songs aus dem Repertoire der 1959 verstorbenen "Lady Day", die 2015 hundert Jahre alt geworden wäre.

Dass der wohl berühmteste Holiday-Klassiker dabei sein wird, gilt als ausgemacht: Strange Fruit, die 1939 komponierte Protestballade, in der die damals noch weitverbreitete Lynchjustiz an Schwarzen in den US-Südstaaten thematisiert wurde, fand sich schon 1995 auf Wilsons CD New Moon Daughter in einer berückenden Gänsehautversion. (felb, DER STANDARD, 6./7./8.12.2014)