Rockabilly, Nazigold und Tango. Das sind Zutaten, mit denen der US-Amerikaner Tav Falco sein Spielfilmdebüt "Urania Descending" würzt.

Foto: Regine Hendrich

Wien - Begonnen hat seine Karriere mit einer Motorsäge. Damit zerstörte Tav Falco 1978 auf der Bühne des Orpheum Theatre in Memphis, Tennessee, eine Gitarre, nachdem er den Bourgeois Blues von Leadbelly gespielt hatte. Es war die drastische Geste eines gerade etwas vom Nihilismus gestreiften jungen Mannes, der fünf Jahre zuvor aus Arkansas in die große Stadt gezogen war, um Film und Fotografie zu studieren.

Im Publikum stand Alex Chilton. Zehn Jahre zuvor war der ein Weltstar mit der Band The Box Tops (The Letter). 1978 war er weitgehend vergessen, er selbst ein Getriebener zwischen Exzess und Phlegma, zwischen New York und Memphis. Chilton empfahl Tav Falco, eine Band zu gründen: Tav Falco's Panther Burns.

Daraus resultierte eine bis heute anhaltende Undergroundkarriere, die eine enge Verbindung zu Österreich prägt. Nach ersten Aufenthalten auf Pump in den 1990ern lebt Gustavo Antonio Falco heute seit zehn Jahren in Wien. Ein Southern Gentleman in der Josefstadt. Bourbon nie vor sechs, dann gerne. Wie alt er ist? "Das fragt man keinen Künstler."

Nun hat diese Diva ihren ersten Spielfilm gemacht: Urania Descending wird kommenden Mittwoch im Wiener Metrokino gezeigt. Der US-Kultur überdrüssig, beschließt darin eine junge Frau, nach Wien zu gehen. Dort trifft sie Diego Moritz (Tav Falco), der, im Sold Schweizer Auftraggeber stehend, Karl Heinz von Riegl nachstellt. Dieser "Von" ist Nachkomme eines SS-Angehörigen und im Besitz eines Planes, der die Lage eines Nazigoldschatzes im Attersee markiert. Zudem hat er eine Schwäche für junge Damen - hier kommt Gina Lee ins Spiel. Moritz bewegt sie dazu, ihm zu helfen.

Chaplins verlorener Sohn

Beeinflusst von Expressionisten wie Erich von Stroheim und der Montagetechnik Sergej Eisensteins, drehte er in Wien und am Attersee einen Film, der an Der Dritte Mann erinnert, nur zeitgemäß und experimenteller.

Tav Falco spielt sich als Diego Moritz quasi selbst. Ein Mann auf Mission, den es dorthin treibt, wohin seine Auftraggeber wollen. Nur dass im richtigen Leben der "Underground Drifter" selbst die Richtung vorgibt.

Tav Falco sieht aus wie ein verlorener Sohn Charlie Chaplins. Er trägt dunkle Anzüge und eine Frisur wie Elvis. Einen Finger ziert ein Totenkopfring. Er ist ein Underground-Held auf vier Kontinenten. In seiner Kunst trifft die Dramatik des Theaters auf die niederen Triebe des Rock 'n' Roll, paart sich sturer Country-Blues mit elegantem Tango.

"Als ich Chilton traf, konnte ich kaum Blues spielen, ich dachte nicht, dass es je für Rock 'n' Roll reichen würde. Aber dann kamen die Cramps nach Memphis, Chilton produzierte sie, und deren Gitarrist, Bryan Gregory, konnte noch weniger spielen als ich. Doch was sie aus Songs von Roy Orbison oder Charlie Feathers machten, war fantastisch."

Für ihn waren die Cramps eine zeitgenössische Version von Antonin Artauds Theater der Grausamkeit. Mit seiner eigenen, nach einem Südstaatenmythos benannten Band Panther Burns ging er nach New York. Die dort damals "narkotisierte und blutleere No-Wave-Szene" bestaunte diese Landeier mit ihrer wilden Voodoo-Musik - und mochte sie.

Tav Falcos Musik atmet den Geist der Freiheit, schert sich wenig um Takt, sondern vertraut dem Instinkt ihres Schöpfers. Das zeitigt Rockabilly-Bastarde, gehetzte Liebeserklärungen, aus dem letzten Loch pfeifende Balladen über Damen und Motorräder.

Zu hören auf Alben wie Behind the Magnolia Curtain, Shadowdancer oder The World We Knew, das die Musik aus Memphis großflächig abdeckt. Tav Falcos Kunst ist angewandte Musikarchäologie mit den Mitteln des Punk, dessen Attitüde er schon in den turbulenten 1960er-Jahren erlebt hat. Rund 15 Alben sind so entstanden.

Tango statt Walzer

1987 führte ihn ein Engagement der Wiener Festwochen erstmals nach Wien. "Wir waren in schlechter Verfassung, unser Promoter karrte uns im Laderaum eines Lkw von Spanien nach Wien." Wieder in Memphis, vernahm er eines Tages ungewöhnlichen Lärm. Er sah einen Rollstuhlfahrer, der sich über die Rampe quälte, die Tav für sein Motorrad errichtet hatte.

Es war Gustav Dornetshuber von der österreichischen Band Krüppelschlag. Er bat Tav, seine Band zu produzieren. So kam er erstmals länger nach Österreich.

Andere Leute entdecken in Wien ihre Liebe zum Walzer, Falco entdeckte seine zum Tangotanz und weist sofort auf die frühen Gemeinsamkeiten von Tango, Jazz und Blues hin. Andere musikalische Vorlieben aus Alter und Neuer Welt sowie diversen Zwischenreichen sind auf der eben veröffentlichten Kompilation Tav Falco's Wild & Exotic World Of Musical Obscurities zu hören.

Der andere Falco

Eine von ihm verfasste, biografisch durchwirkte Kulturgeschichte von Memphis ist 2012 erschienen: Ghosts Behind the Sun: Splendor, Enigma & Death: Mondo Memphis Volume 1, im kommenden Jahr wird der erste Bildband des Fotografen Tav Falco publiziert, ein neues Album sowieso.

Tav Falco ist heute eine Figur wie der Chef der legendären britischen Band The Fall, Mark E. Smith. Smith ist The Fall, Tav Falco ist Panther Burns. Nur gesünder, aber natürlich haben die beiden schon einmal gemeinsam in Memphis Whiskey getrunken. Vor sechs.

Wenn jemand hierzulande den Namen Falco trägt, drängt sich eine Frage auf: Was denkt er über den anderen? Mit der Musik seines Namensvetters kann Tav wenig anfangen, böses Wort kommt ihm keines über die Lippen. Eines aber muss er dennoch festhalten. "Falco bewies ein gutes Gespür, sich mit diesem Namen zu schmücken. Er musste dafür aber einen Skispringer beleihen. Ich hingegen wurde damit geboren." (Karl Fluch, DER STANDARD, 6./7./8.12.2014)