Die Kantonesen mögen von anderen Chinesen dafür verspottet werden, wirklich alles zu essen - sie sind bei dessen Zubereitung aber meiner Erfahrung nach so geschickt, dass auch wirklich alles ziemlich gut schmeckt. Hühnerfüße, Zikaden oder Fischhäute sind ganz köstlich, wenn sie nur richtig zubereitet werden. Auch als Westler ist es daher relativ leicht, in Kanton zu schlemmen. Wenn Sie wirklich herausfordernde Speisen suchen, kommen Sie nach Peking.

Die Bewohner Südchinas blicken verächtlich auf die rohe, grobe Küche der nördlichen Hauptstadt: Die Würze ist vergleichsweise einfallslos, es fehlt die Schärfe Sichuans, die Süße Schanghais oder die Säure von Guizhou. Die Knödel sind hier teigiger und weniger delikat als im Süden, die Suppen mit mehr Stärke gebunden. Und zugewanderte Westler, selbst die hartgesottenen, erzählen erschaudernd von bestimmten Spezialitäten der Stadt.

Foto: Tobias Müller

Er liebe alles Vergorene, auch Stinktofu, meinte ein amerikanischer Teehändler, der seit zehn Jahren in China lebt, bei unserem Abendessen - Dou Chi aber, ein Pekinger Drink aus vergorenen Sojabohnen, sei "ganz weit jenseits vom dem, was ich als essbar ansehe". Selbst Fuchsia Dunlop schreibt von dem Schrecken und der Abscheu, die sie empfand, als sie das erste Mal Lu Zhu Huoshao, einen speziellen Innereieneintopf, vorgesetzt bekam.

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Die klassische Pekinger Küche ist eine Arme-Leute-Küche - wenn es Fleisch gibt, dann eben die sehr günstigen Teile des Tiers: Mir ist bisher kein Ort der Welt untergekommen, wo mehr Därme verspeist werden als in Chinas Hauptstadt. Sei es vom Schwein, von der Ziege oder von der Kuh: Pekinger lieben den Verdauungstrakt.

Auch die allgegenwärtigen Pekingenten-Restaurants bieten als mögliche Beilage Entendärme an. Gut zubereitet, sind die Därme eher geschmacksneutral und sehen aus wie Nudeln, sie haben aber eine erfreulich resche Konsistenz, die ein wenig an frische Kalamari erinnert.

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Werden Mägen und Därme aber nicht ordentlich eingeweicht und geputzt, dann schmeckt und, noch viel mehr, riecht man einfach, was vorher in ihnen war. Die Mehrzahl der Pekinger Köche scheint das nicht zu stören.

An unserem zweiten Pekinger Morgen durften die Australierin und ich Chao Gan frühstücken, Leber Pekinger Art: ein stärkedicker Suppenbrei, in dem große Stücke Schweinsleber und Schweinedarm dümpeln. Eine ganz außergewöhnliche Menge gehackter Knoblauch und Koriander spricht dafür, dass der Pekinger Esser dem Darmaroma gegenüber zumindest ambivalent ist.

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Ab der Mittagszeit wehen Schwaden von Fast-Kotgeruch durch die Fress-Viertel der Stadt. Er kommt von den allgegenwärtigen Maodu, gedämpften Kutteln mit Erdnuss-Dip. Der dicke Dip kann zwar den Geschmack überdecken, gegen den Geruch aber ist er machtlos.

Lu Zhu Huoshao bin ich nur kurz begegnet. Ich habe einem Koch durchs Fenster von der Straße bei der Zubereitung zugesehen: In einem riesigen Wok vor ihm brodelte eine braune Brühe, in der fingergroße Stücke Schweinedarm, einige Brocken Tofu und Fladenbrote schwammen.

Bei einer Bestellung schöpfte der wackere Mann von all diesen Komponenten ein wenig in eine Schüssel, übergoss es mit reichlich brauner Suppe und begrub den unschönen Anblick unter einem Berg Koriander. Aus Neugier hätte ich fast eine Portion bestellt, die Australierin und der starke Darmgeruch haben mich dann aber doch abgehalten.

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Harmloser und mitunter richtig gut ist Douhua, ganz frischer weicher Tofu, der hier, wie könnte es anders sein, mit zarter Innereien-Suppe übergossen wird. Ich bin ein Fan des extra-weichen Frischtofus, und eine zarte Kuttelnote steht seiner Soja-Süße gar nicht schlecht. Viele der Shops, die diese Suppe bieten, finden sich denn auch um die Ecke eines Tofu-Machers.

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Eine viel zugänglichere Pekings Spezialität: Der Esels-Burger. Meine Variante war ganz köstlich und erinnerte etwas an Pulled Esel: frisches, warmes Brot, geschmortes Fleisch, weich, erfreulich saftig, und dank jeder Menge Haut- und Fettstücken abwechslungsreich und üppig in der Konsistenz. Geschmacklich hätte ich am ehesten auf sehr fettes Wild getippt.

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Eselsfleisch ist so beliebt in Peking, dass einige der Burger-Ketten 24 Stunden am Tag geöffnet sind. (Eines der bekanntesten Desserts der Stadt heißt wörtlich "Esel, der sich im Dreck wälzt", hat aber mit Esel nichts zu tun. Es handelt sich um Klebreis mit Roter Bohnen Paste, in Sojaschrot gewälzt, was dem Dessert eine schlammige Farbe verleiht).

Der Preis des Burgers variiert, je nachdem, was der Kunde drin haben will: am teuersten sind die Innereien wie etwa das Herz. Neben gefüllten Broten bieten sie Esel-Hotpot und gefrorenen Esel zum Mitnehmen an.

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Die Pekinger essen äußerst teiglastig und Weizen statt Reis: An jeder Ecke ist eine Bäckerei zu finden, die Knödel hier sind dicker und teigiger als anderswo. Ziemlich gut: Teigfladen, die mit einer ähnlichen schweinisch-suppigen Füllung gefüllt werden wie die berühmten Shanghaier Suppenknödel. Die Fladen sind außen knusprig, innen saftig weich und machen ziemlich süchtig.

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Am meisten gegessen haben die Australierin und ich aber in den traditionellen muslimischen Snack-Shops, die überall in der Stadt zu finden sind.

Frühmorgens (Pekinger Frühstück ist um acht vorbei) stehen die Kunden vor den berühmten Shops Schlange, um an ihre Suppen und Backwaren zu kommen, an den kleinen Tischen der Lokale beugen sich die Kunden im Akkord schlürfend über ihre Schüsseln.

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Sehr beliebt und schmackhaft: Schafsuppe mit frittiertem Tofu, Schaf-Grießknödeln und reichlich Koriander. Wer einen volleren Magen wünscht, setzt auf Mian Cha, eine Art Weizenbrei mit Sesamsauce. Fühlt sich an wie Babynahrung, schmeckt angenehm zart süß-nussig und füllt für viele kalte Pekinger Stunden.

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Sesam ist generell allgegenwärtig in Pekings Küche, sei es als Sauce, Korn, oder Paste. Vor Sesamröstereien bilden sich auf den Märkten denn auch entsprechend lange Schlangen.

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Der König des Snackladens ist das Shaobing, Pekings Äquivalent zur Semmel. Es wird zu jeder Tages- und Mahlzeit verspeist. Weizenteig wird dafür ausgerollt, mit Sesampaste bestrichen, gefaltet und zu höchstens handtellergroße flachen Laiben geformt, die mit Sesam bestrichen werden.

Schlecht gemacht, sind sie einfach nur fad, trocken und schwer zu kauen. Frisch aus dem Ofen und gut zubereitet sind sie eine nussig-dampfende Freude, die entweder mit weich gekochtem Schaf/Ziege/Rind gefüllt oder einfach so zur Suppe serviert wird.

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Ein Kleinod chinesischer Snack-Kochkunst und Speisekarten-Prosa ist die "Flachsensuppe" (gleich neben der "geschmorten Sehne" zu finden).

Hier wird nichts schöngeschrieben, das Gericht ist, was der Name verspricht: Bindegewebsteile und Fleischabschnitte, wohl in stundenlanger Schmorarbeit erstaunlich weich gekocht und anschließend in einer eingedickte, fleischigen Suppe serviert -erstaunlich ess- und genießbar

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Menschen, die nicht hier aufgewachsen sind, tun sich generell schwer mit der Pekinger Küche. Es hat eine lange Tradition, dass Beamte, die in die Hauptstadt berufen wurden, ihre eigenen Köche aus ihren Provinzen mitbrachten, und noch heute betreiben all die regionalen Regierungsbüros Restaurants mit ihrer jeweiligen Küche, die sehr beliebt sind in der Stadt.

Eine der bekanntesten Fressmeilen der Stadt, die "Geister-Straße", ist großteils in Sichuan-Hand: Über mehrere Kilometer reiht sich hier Restaurant an Restaurant, die scharfe Flusskrebse, Mapu-Tofu oder Hot Pot anbieten. Die meisten haben 24 Stunden geöffnet, vor den beliebteren warten Kunden oft eine Stunde Sonnenblumenkern-knabbernd auf einen Tisch.

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Ein paar nützliche Adressen:

Ein ganz hervorragender muslimischer Snackshop befindet sich auf der Deshengmen Inner Street, ganz im Norden, kurz bevor sie auf die Second Ring Road trifft. Halten Sie Ausschau nach zwei Verkaufsfenstern unter einem grünen Schild. Herrliche Sesamweckerl, köstliche Nudelsuppe, eigentlich alles gut.

Longxingsheng ist eines berühmtesten muslimischen Snack-Shops der Stadt und ebenfalls sehr gut: kommen Sie frühmorgens, gegen sieben, wenn die Pekinger hier für ihre Suppen Schlange stehen

Luo'er Hutong ist eine belebteren, noch erhaltenen alten Pekinger Straßen mit jeder Menge Fressstände. Sehr gut geeignet für einen Nachmittagsspaziergang mit einigen Kostproben.

Private Kitchen 44: hervorragendes chinesisches Farm to Table Restaurant, mit eigener Farm und Fleisch von Freiland-Tieren, hausgemachtem Reiswein und Tofu, mit Speisen aus diversen chinesischen Provinzen. Guter Ort, um der traditionellen Pekinger Küche zu entkommen.

Duck de Chine (auch "1949"): Gilt vielen Pekinger Gourmets als bestes Entenrestaurant der Stadt. Modern, schick, und für den Preis sehr chinesisches mieses Service. Ich war unterwältigt - liegt aber wohl auch daran, dass ich Peking Ente generell überbewertet finde.

(Tobias Müller, derStandard.at, 8.12.2014)

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