STANDARD: Sie würden gerne wieder, wie bis vor fünf Jahren, die Wiener Fachgruppe Werbung in der Wirtschaftskammer leiten. Haben Karl Javurek als Gewista-Chef, als Obmann des Wirtschaftsforums der Führungskräfte und in einer Handvoll anderen Funktionen und Marcus Arige als Kreativer (Halle 34) nicht genug zu tun?

Javurek: Die Kammer ist in einem Umbruchprozess. Es ist Zeit, dass man sie an die Bedürfnisse der Jetztzeit anpasst.

Arige: Die Wirtschaftskammer ist die gesetzliche Interessenvertretung, ob uns das nun passt oder nicht, und das in Verfassungsrang. Jetzt müssen wir damit leben - vor allem die Mitglieder. Und wir müssen versuchen, sie von innen und außen zu reformieren - oder sie implodiert.

STANDARD: Warum sollte die Kammer denn implodieren?

Arige: Die Funktionärskaste besteht aus viel Gewerbe, undurchsichtigen Fachgruppen und Innungen und Sparten. Da werden viel Geld und viele Ressourcen verwaltet. Aber da draußenwächst eine neue Generation von Unternehmen und Unternehmern heran - 60 Prozent der Mitglieder in der Fachgruppe Werbung sind Einpersonenunternehmen, viele irgendwo zwischen angestellt oder Freiberufler und Unternehmer. Die Generation wird - bis auf Feigenblätter - nicht in der Kammer abgebildet. Wenn eine Wirtschaftskammer gegen Vermögenssteuern kampagnisiert, betrifft das 90 Prozent der eigenen Mitglieder nicht.

STANDARD: Gut, dass einer sozialdemokratischen Fraktion eine Kampagne gegen Vermögenssteuern nicht wirklich gefällt, ist recht logisch.

Arige: Mir geht es gar nicht so sehr um das Für oder Wider von Vermögenssteuern. Die Frage ist nur: Muss die Wirtschaftskammer eine Kampagne dagegen fahren - oder sollte sie sich nicht um 250.000 EPUs annehmen? Wo setzt man Schwerpunkte, um jene zu vertreten, die wirklich Hilfe brauchen. Weder die 400 Weltmarktführer brauche Hilfe noch jene, die ihr Vermögen vor Vermögenssteuern schützen wollen. Da richtet sich die Wirtschaftskammer falsch aus. Sie wissen es auch nicht mehr, was die Leute betrifft. Sie müssen aus Studien erfahren, welche Probleme die Leute haben. Sie sind wie Eunuchen: Wissen, wie’s geht, können aber nicht.

STANDARD: Sie wollen sich nun unter diese Eunuchen mischen und ihnen zeigen, wie's geht? Wird man da nicht rasch selbst zum Eunuchen?

Arige: Ich habe nicht vor, Berufsfunktionär zu werden. Für mich ist das eine Geschichte auf Zeit. Außerdem sehe ich mich als Teil, der von mir zuvor beschriebenen neuen Generation.

Rote Kandidaten für die Fachgruppe Werbung bei der Wirtschaftskammerwahl 2015: Marcus Arige (Halle 34), Karl Javurek (Gewista).
Foto: Halle34 / Gewista

STANDARD: Man sollte das Politiker zwar vor der Wahl nur sehr vorsichtig fragen, aber: Was wollen Sie denn besser machen?

Javurek: Um ehrlich zu sein: so ziemlich alles. Das beginnt bei der finanziellen Entlastung der Einpersonenunternehmen bei Mitgliedsbeiträgen und geht bis Neukonzeption der Fachgruppe, die in Hinkunft nicht mehr in 14 einzelne Berufsgruppen eingeteilt werden sollte für die jeweils ein Gewerbeschein zu lösen ist. Das entspricht doch längst nicht mehr der Realität in der Kommunikationswirtschaft wo integrierte und nicht separierte Kommunikation vom Markt gefordert wird. Wenn ein Grafiker beispielsweise aus einer Agentur ausgelagert wird meldet er sich als Grafiker bei der Fachgruppe an und zahlt dafür. Will er das diese Grafik als Onlinewerbung umgesetzt wird, braucht er einen neuen Gewerbeschein und zahlt wieder dafür. Will er das seine Grafik als Plakat produziert wird braucht er einen neuen Gewerbeschein, will er das dieses Plakat affichiert wird und er dafür eine Agenturprovision erhält braucht er einen neuen Gewerbeschein. Da hat man doch wirklich den Eindruck, dass die Kammer die Arbeit unserer Mitglieder erschwert anstatt sie zu erleichtern.

STANDARD: Immerhin gibt es die Möglichkeit des Sammel-Gewerbescheins. Wieviele Berufsgruppen fänden Sie adäquat?

Javurek: Außenwerbeunternehmen und Marktforscher sind sehr speziell - für alle anderen würde eine Berufsgruppe reichen.

STANDARD: Warum gerade Ihre Branche nicht?

Javurek: Von mir aus auch die. Aber 90 Prozent unserer Tätigkeit unterscheidet sich doch klar von jenen der Agenturen und der Marktforscher.

STANDARD: Zugegeben: Werbeagenturen plakatieren eher nicht selbst oder stellen ein Display in die U-Bahn-Station.

Arige: Die Kammer lebt in einer anderen Sphäre. Sie macht zehn Veranstaltungen zu "Die Agentur der Zukunft", die es eigentlich nicht gibt. Aber man teilt die Branche detailliert in Agentur und zehn Berufsgruppen.

STANDARD: Die Berufsgruppen stören ihre Zielgruppe Einpersonenunternehmen vielleicht sogar weniger als die etwas komplexen Regelungen der Sozialversicherung der gewerblichen Wirtschaft.

Arige: Dafür fühlt sich die Fachgruppe bisher nicht zuständig und delegiert das Thema nach oben zum Präsidium und zum Wirtschaftsparlament. Das sehe ich anders: Die Fachgruppe ist die einzig direkt gewählte Organisationsstruktur in der Wirtschaftskammer - und soll Themen nicht behandeln, die die Leute betreffen?

STANDARD: Direkt gewählt in einem insgesamt recht komplexen Wahlsystem, soweit ich weiß.

Arige: Das dazu führt, dass der Wirtschaftsbund in der Wirtschaftskammer mit 37 Prozent eine absolute Mandatsmehrheit haben könnte. Das ist eine Sauerei. Würde das so in der Stadt Wien laufen, würden alle schreien.

STANDARD: Wir waren eigentlich bei der Komplexität der SVA.

Arige: Das Thema berührt die Leute am allermeisten. Das treibt Leute in den Konkurs. Sie müssen ein kompliziertes Berechnungssystem im Kopf behalten, das keinen Sinn mehr ergibt. Da kann sich eine Fachgruppe nicht einfach kommod heraushalten, die 10.000 Leute vertritt, von denen der Großteil davon betroffen ist. Nur weil es um die SVA der Wirtschaftskammer geht, der man nicht ans Bein pinkeln will. Das ist mir zu billig. Wir müssen aus dem komischen Berechnungsmodus heraus, der Nachzahlungen von vor drei Jahren mit aktuellen Vorauszahlungen auf Basis von drei Jahren kombiniert. Das muss zeitnaher werden, mit einer Schnittstelle, monatlicher Gewinnberechnung und monatlichen Beiträgen. Es könnte so einfach sein. Für jene, die das möchten. Wer es mag, wie es ist, soll es so weitermachen.

STANDARD: Kurzum: Sie bemühen sich um die Wählerinnen und Wähler in der größten Zielgruppe - die Einpersonenunternehmen.

Arige: Wer sich heute selbstständig macht, ist eine neue Generation von Unternehmern, die teilweise in diese Selbstständigkeit gestoßen werden. Die entsprechen nicht dem früheren "Idealtypus" des Unternehmers mit Businessplan und Steuer- wie Sozialgesetzgebung im Kopf. Die Leute kommen sich schlecht serviciert vor - und müssen als Unternehmer teilweise zur Arbeiterkammer gehen, um bei Fragen wie Mietrecht oder Konsumentenschutz Hilfe zu bekommen. Sie kommen sich nicht verstanden vor. Und wissen nicht, wofür sie Wirtschaftskammerbeiträge zahlen. Dann darf man sich über eine Wahlbeteiligung von 22 Prozent in der Kammer nicht wundern.

Javurek: In den Gremien rennen wir mit solchen Themen wie gegen Betonwände, und werden niedergestimmt. Also treten wir an, um die Themen möglichst ohne Kompromisse in einer Koalition durchsetzen zu können. Die großen Agenturen brauchen uns nicht wirklich. Wir haben jedoch mindestens 60 Prozent Einpersonenunternehmen, dazu kommen noch viele Mikrounternehmen die brauchen eine anständige Vertretung, die in ihrer Lebenswelt agiert.

STANDARD: Sie standen der Fachgruppe ja schon 2005 bis 2010 vor - hätten Sie da nicht schon etwas ändern können?

Javurek: Wir haben die Service-Einrichtungen für gerade diese Einzelpersonen deutlich ausgebaut, etwa einen Versicherungsservice für Betriebsunterbrechungen und eine Haftpflichtversicherung. Ein Service, der in keiner anderen Fachgruppe existiert. Die jetzt angesprochenen großen Themen sind aber damals auch noch nicht in dieser Deutlichkeit spürbar gewesen. In den letzten Jahren hat sich das dramatisch entwickelt und sind neu auf der Tagesordnung.

Arige: Dass die SVA so einen Service erst nach dem 43. Tag schafft, 27,60 Euro pro Tag auszuzahlen, ist eine Schande. Wir haben auch das Thema angemessener Ausschreibungen und Abstandshonorare aufs Tapet gebracht und auf "schwarze Schafe" aufmerksam gemacht.

STANDARD: Die Fachgruppe wird aber doch nicht ihre Mitglieder ächten, die auch bei Präsentationen mitmachen, die nicht nach Lehrbuch und Anstand ablaufen.

Arige: Die Fachgruppe muss vor der eigenen Türe kehren; dann können wir über Kunden reden, die sich nicht sauber verhalten. Da sind wir wieder bei der Diskrepanz zwischen großen Agenturen und Einzelpersonenunternehmen - die unter jenen Praktiken leiden, die Große einführen und sich offenbar leisten können. Das ruiniert uns eine Branche. Wir müssen auch das Bewusstsein der Kunden schärfen, dass da eine Leistung erbracht wird, die faire Abgeltung erfordert. Wir müssen aber auch transparente Rechnungen stellen, erklären, was wir da verrechnen - auch unsere Kreativleistung. Da muss die Fachgruppe aufklären.

STANDARD: Was hindert sie daran?

Arige: Wir haben einen Honorarrechner vorgeschlagen. Da hieß es: EU-rechtlich nicht möglich. Die Fachgruppen in der Steiermark, in Niederösterreich, deutsche Branchenvertretungen bieten solche Services an. Ich würde mich auch von der EU klagen lassen. Wenn ich als Interessensvertretung keine Tools anbieten kann, die meinen Mitgliedern bei der Kalkulation helfen… Das ist doch keine Preisabsprache.

Javurek: Als ich Obmann war, haben wir eine Umfrage über die Ist-Situation der Honorare gemacht und damit Bandbreiten aufgezeigt, wo sich die Preise bewegen, als ich Obmann war. Es ist unverständlich, wenn die Wiener Fachgruppe hinter das zurückfällt, was wir schon vor fünf Jahren hatten - und was andere Landesgruppen zustande bringen.

STANDARD: Sie wollen sich gleich auch mit den Mediaagenturen anlegen.

Arige: Wenn wir heute von einer ganzheitlichen Kreation schwafeln, wäre es wichtig, dass die Mediakonzeption und -strategie dabei wäre. Man bekommt ja Mitleid mit Kunden, die 20 Agenturen über ihre Kommunikationsziele briefen müssen. Ich halte es für einen Kardinalfehler, dass Werbeagenturen das Mediageschäft haben gehen lassen. Und heute bekomme ich jedenfalls Media-Abrechnungen, die ich nicht nachvollziehen kann - und ich vermute, sie sind mit genau diesem Ziel so gemacht. Da gibt es ein Honorar, da gibt es Preise - und dann gibt es 50, 60, 70 Prozent Rabatte. Wie ernst kann man ein Medienunternehmen noch nehmen, das 70 Prozent Rabatt auf seine Preise gibt? Da muss man sich fragen: Wofür gibt es diese Preise?

STANDARD: Geben Sie 70 Prozent Rabatt bei der Gewista?

Javurek: Nein (lacht). Aber ich teile die Überlegung: Das Media-Geschäft wurde ausgelagert, gebündelt, um mit größeren Volumina größeren Druck auf die Medien auszuüben. Jetzt passiert das Absurde: Der Markt schreit nach integrierter Kommunikation - und die Mediaagenturen werden jetzt zu Kreativagenturen. Aber nicht von der Konzeption getrieben, sondern eher vom Thema Media. Die Entwicklung war nicht gesund, weil sie dem Wesen der Kommunikation, der integrierten Kommunikation widersprochen hat.

Arige: Das ist auch gefährlich für Agenturen, die sich der Kreativität verschrieben haben. Das läuft allzu sehr auf Messbarkeit hinaus. Wenn wir alles messbar machen, dann werden sich Google, Facebook und Twitter bedanken. Das sind die Könige der Messbarkeit. Da geht der Charme der Werbung verloren. Konsumenten schauen sich auch stundenlang Werbung an - siehe Cannes-Rolle.

STANDARD: Viele Arbeiten dort sind zuallererst für eine sehr kleine Zielgruppe maßgeschneidert: Juroren des Werbefestivals von Cannes.

Arige: Aber der Durchschnittskonsument schaut sie sich mit großem Vergnügen an, wenn er sie zu sehen bekommt. Es geht um Werbung, die begeistert, und die sich nicht nur über Lautstärke definiert. Messbarkeit ist für mich nur ein Teil der Arbeit.

STANDARD: Fast alle Jahre wieder taucht bei den österreichischen Medientagen die Forderung auf, die Werbeabgabe abzuschaffen. Diesmal brachte sie immerhin jemand Neuer dort aufs Tapet - der Wiener Wirtschaftskammerchef Walter Ruck. Sie sind vermutlich weiter wie eh und je für die Abschaffung?

Javurek: Natürlich bin ich für Abschaffung der Werbeabgabe. Das ist ein Unikum in der internationalen Medien- und Werbewelt. Das gibt es sonst nur in Burkina Faso und wenigen anderen Ländern. Das belastet den Medienstandort Österreich und verzerrt den Wettbewerb mit Onlinemedien, die am stärksten wachsen, aber von der Steuer ausgenommen sind. Das ist absurd, ein verrücktes System. Ich habe als Fachgruppenobmann einige Initiativen in diese Richtung unternommen. Aber ich sehe natürlich auch die schwierige Situation des österreichischen Staatshaushaltes. Da reden wir über rund 100 Millionen Euro an Einnahmen. Aber der neue Finanzminister kennt das Problem ja noch als Chef eines sehr großen werbetreibenden Unternehmens. Ich wünsche ihm da viel Kraft.

STANDARD: Dem Finanzminister dürften die Einnahmen relativ egal sein. Die Einnahmen gehen an die Länder und Gemeinden - zum größten Teil an den größten Medienstandort Wien. Sie könnten da ja ein gutes Wort einlegen, Sie haben ja ganz gute Kontakte zur Stadtregierung - und die Gewista hat sehr gemeindenahe Miteigentümer.

Javurek: Die Antwort kenne ich: Wir können auf das Geld nicht verzichten. Das gehört in eine Gesamtbetrachtung. Natürlich muss man da vor allem mit der Stadt Wien reden, wie man im Zuge des Finanzausgleichs zu einer anderen Regelung kommt.

Arige: Das ist auch eine unehrliche Debatte. Wie ein kleiner Fetisch wird diese Abgabe alle fünf Jahre vor einer Wahl hervorgeholt - und wird danach rasch wieder vergessen, weil man das große Ganze konzipieren müsste. Und trotzdem bleibt das ein Nischenthema. 99 Prozent unserer Fachgruppenmitglieder sind davon nicht betroffen. Sie betrifft nicht die Kreativen. Das ist ein Thema der großen Agenturen und Mediaagenturen. Wir haben schon vorgeschlagen, mit einem Teil der Einnahmen den Werberat zu finanzieren. Der bräuchte viel mehr Geld, um eine unabhängige Institution der Branchenselbstkontrolle zu schaffen.

STANDARD: Die Wirtschaftskammer bildet auch Branchennachwuchs aus und weiter. Wie zufrieden sind Sie denn mit den Angeboten?

Javurek: Die Wirtschaftskammer betreibt die Werbeakademie und die Fachhochschule. Die Praxis zeigt dass die Absolventen dieser Lehrgänge nicht perfekt ausgebildet sind. Dies merkt man auch deutlich wenn man den Wissensstand mit frisch ausgebildeten Absolventen aus Deutschland vergleicht. Es ist daher absolut dringend neue Akzente in der Ausbildung unseres Nachwuchses zu setzten. Es ist ein Vergehen an jungen Menschen ihnen eine Ausbildung angedeihen zu lassen mit der sie auf dem Markt nicht soft reüssieren können. Wie haben daher vorgeschlagen in einer wissenschaftlichen Studie die Ausbildung in Österreich, in Deutschland und an Leuchttürmen wie dem Central St. Martin University zu vergleichen um daraus die richtigen Schlüsse ziehen zu können. Übrigens auch einer der Anträge von uns, welche nicht angenommen wurden.