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November 2014: afghanische Rekruten bei der Angelobungszeremonie. Noch könnte die afghanische Armee ohne Hilfe von außen nicht überleben.


Foto: AP Photo/Rahmat Gul

Mit dem Jahreswechsel beginnt in Afghanistan zumindest formal so etwas wie eine "Nachkriegszeit": Gut dreizehn Jahre nachdem die Angriffe von Al-Kaida in New York und Washington die US- und Nato-Intervention in Afghanistan auslösten, werden die USA ihre Truppenpräsenz zuerst auf 9800 Mann und dann weiter reduzieren. Präsident Barack Obama hat ja einen völligen Abzug bis Ende 2016 angekündigt - wenngleich nach Abschluss eines "bilateralen Sicherheitsabkommens" mit Kabul das Ende der US-Mission im Prinzip offen ist.

Auch die Nato stellt ihren Afghanistan-Einsatz auf neue Beine: Am 1. Jänner 2015 wird die ISAF (International Security Assistance Force) von der Mission "Resolute Support" abgelöst, die bis 2017 laufen soll. Die zunächst 12.000 Soldaten aus zwanzig Nato-Ländern werden wie die Amerikaner Aufgaben im Bereich Ausbildung und Beratung der afghanischen Armee wahrnehmen - kämpfen soll man höchstens noch zur eigenen Verteidigung.

Für die Nato-Truppe gelten auch die gleichen Immunitäten wie für die verbleibenden US-Soldaten: Hamid Karsai hatte die Unterschrift unter das Abkommen mit den USA verweigert, der neue Präsident, Ashraf Ghani, holte dies Ende September nach.

Ghanis Sieg bei den Präsidentschaftswahlen im Juni - bei hoher Wahlbeteiligung, wobei es vielen Wählern darum ging, Karsais Kandidaten Zalmay Rassul zu verhindern - löste zwar zuerst einmal einen langen innenpolitischen Machtkampf mit dem unterlegenen Abdullah Abdullah aus, aber dieser wurde beigelegt, indem für Abdullah der Posten eines "Generaldirektors" der Regierung geschaffen wurde.

Dass dieses "Joint Venture" jedoch nicht einfach wird, war vorauszusehen: Im Moment spießt es sich bei der Bildung einer neuen Regierung. Am Sonntag musste Ghani zugeben, dass sie noch Wochen dauern kann - als Übergangslösung entließ er erst einmal die Minister und ersetzte sie durch ihre Stellvertreter. Eine große demokratiepolitische Herausforderung wird 2015 auch sein, Parlamentswahlen abzuhalten, ohne dass der fragile politische Frieden zusammenbricht.

Anschlagsserie der Taliban

Auch die Taliban geben sich nicht geschlagen: Eine Einladung Ghanis zum Friedensprozess haben sie ausgeschlagen. Die letzten Wochen sind charakterisiert von einer Gewaltkampagne: Elf Anschläge in Kabul innerhalb kurzer Zeit haben laut New York Times dazu geführt, dass Hilfsorganisationen ihre ausländischen Mitarbeiter verfrüht in den Weihnachtsurlaub schicken. Die Taliban haben auch eine neue Angriffswelle in Pakistan gestartet, unter anderem gegen eine Polio-Impfkampagne: wohl eine Spätfolge der US-Idee, zum Aufspüren von Al-Kaida-Chef Osama bin Laden eine Impfaktion zu erfinden. Noch immer funktioniert die Zusammenarbeit zwischen Pakistan und Afghanistan bei der Terrorbekämpfung nicht: Der eine unterstützt oder toleriert die Terroristen, die den anderen bedrohen.

Wie gefährdet die afghanische Armee ist, wurde dramatisch am Freitag voriger Woche klar, als Taliban-Angreifer eine Militärbasis, die die Briten erst im Oktober übergeben hatten, im südafghanischen Helmand überrannten. Noch immer leidet die Armee unter ethnischen Spannungen - sie wird von tadschikischen Offizieren dominiert -, die Desertionsrate ist hoch. Das afghanische Militär wird derzeit noch komplett von Geberländern finanziert, ab 2015 wird jedoch auch die afghanische Regierung beginnen, sich an den Kosten zu beteiligen. Der Westens betont, dass das zivile Engagement nicht heruntergefahren wird. Aber Afghanistan wird sich wohl vermehrt nach regionalen Partnern umsehen.

Chinas Interessen

Indien - wo Afghanistan militärische Ausrüstung kaufen wollte, aber nicht bekam - scheidet eher aus, das würde auch die angespannten Beziehungen zu Islamabad weiter belasten. Eine größere Rolle könnte in Zukunft China spielen - das auch wegen der afghanischen Grenze zur Uigurenprovinz Xingjian Sicherheitsinteressen in Afghanistan hat. Die Chinesen unterstützen bereits die afghanische Armee. Ob das den USA so behagt, ist wieder eine andere Frage. Ein anderer Nachbar Afghanistans ist der Iran: ein Grund mehr für Washington, mit Teheran einen Grundkonsens zu finden - der Weg dahin läuft nicht zuletzt über den Atomdeal. (Gudrun Harrer, DER STANDARD, 4.12.2014)