derStandard.at: Wenn Sie eine Freundin fragt: Soll ich zum Screening gehen, oder nicht? Was antworten Sie?
Ruda: Wichtig ist, dass Frauen die Entscheidung, am Brustkrebsscreening teilzunehmen, sehr bewusst treffen. Als Verantwortliche für das Brustkrebsprogramm ist es mir natürlich wichtig, dass viele Frauen daran teilnehmen, aber, ganz ehrlich: Ich denke nicht, dass man den Erfolg so eines Programmes mit einer absoluten Zahl an Teilnehmerinnen messen kann. Es geht darum, die richtigen Frauen im richtigen Intervall zu erreichen. Deshalb haben wir unterschiedliche Altersgruppen in diesem Programm eingeführt Besonders Frauen zwischen 45 und 69 Jahren sind die Kernzielgruppe.
derStandard.at: Das beantwortet nicht die Frage. Was meinen Sie mit bewusster Entscheidung?
Ruda: Bei Screening-Programmen geht es darum, Krebs frühzeitig zu entdecken und damit auch besser behandeln zu können. Wir wissen, dass die Behandlungen von frühzeitig entdecktem Brustkrebs auch erfolgreicher ist als bei Patientinnen,bei denen Krebs in einem späten Stadium diagnostiziert wird. Das ist der Nutzen. Doch es gibt bei solchen Reihenuntersuchungen auch Risiken.
derStandard.at: Risiken? Sie meinen Nachteile?
Ruda: Screeningprogramme haben einen Nutzen, darüber sind sämtliche Experten international einig. Die Diskussionen entstehen immer dann, wenn es darum geht, wie hoch oder wie niedrig Nutzen und Risiken sind. Ein Risiko sind einerseits falsch-positive Ergebnisse: Also das Untersuchungsergebnis Brustkrebs, das sich in der Folge aber als falsch erweist. Das ist eine schreckliche Erfahrung. Als Betroffene hat man Angst. Umgekehrt sind falsch-negative Ergebnisse aber auch ein Risiko.Wenn laut Mammographiebefund kein Brustkrebs festgestellt wird, die Erkrankung tatsächlich aber aber schon besteht. Diese Risiken sollten Frauen kennen, um dann eine informierte Entscheidung treffen zu können. Wir versuchen mit unseren Informationskampagnen hier zu unterstützen.
derStandard.at: Sind es nicht vor allem die Ärzte, die sie aufklären sollten?
Ruda: Klar, Ärzte sind in gesundheitlichen Fragen in einer Schlüsselposition. Wir brauchen deren Hilfe. Ich denke, nicht nur Gynäkologen, sondern auch Allgemeinmediziner und Radiologen spielen eine ganz wichtige Rolle. Wir müssen gemeinsam an einem Strang ziehen. Im Interesse der Frauen.
derStandard.at: Das wovor man sich Frauen wohl am meisten fürchten, ist ein falsch positiver Befund und die Angst, die dadurch entsteht...
Ruda: Es gibt solche Fälle, ja, aber gerade deshalb ist ja die Aufklärung so wichtig. Denn es geht bei so einem Screening ja auch darum, Frauen zu motivieren, die an sich wenig gesundheitsbewusst sind, vielleicht überhaupt noch nie bei einer Mammographie waren. Die wollen wir vor allem erreichen.
derStandard.at: Gehen die überhaupt zum Gynäkologen?
Ruda: Sie gehen vielleicht nicht regelmäßig zum Gynäkologen, aber schon zum Arzt, wenn sie gesundheitliche Probleme haben. Und dann gibt es die Chance, dass man solche Frauen auf eine Mammographie anspricht.
derStandard.at: Weil Gesundheit ein soziales Problem ist?
Ruda: Genau. Wir wollen erreichen, dass auch Frauen in sozial- und bildungsschwachen Kreisen ein Vorsorgebewusstsein entwickeln. Das ist nicht einfach, denn für uns bedeutet das, das wir hier bei Migranten auch Sprachbarrieren überwinden und kulturelle Vorbehalte aus dem Weg räumen müssen. Wir brauchen Anknüpfungspunkte, um auf Frauen aktiv zugehen zu können.
derStandard.at: Wie wünschen Sie sich ein Arztgespräch?
Ruda: Ich bin keine Medizinerin, aber ich würde mir Wünschen, dass der Arzt mit seinen Worten die Eckpunkte des Programms erläutert und erklärt, dass das Ziel so einer Untersuchung eben das Erkennen von Brustkrebs im Frühstadium ist. Ich denke, dass es auch Sinn macht, unsere Informationsbroschüre zu verteilen, denn dort gehen wir sehr intensiv auf Nutzen und Risiko ein. Darüber nachzulesen und in Ruhe die Sachen durchzudenken, ist entscheidend. Auch falsch-positiv und falsch-negativ sollten in so einem Aufklärungsgespräch thematisiert sein. Abgesehen davon können dann Frauen auch individuelle erbliche Vorbelastungen besprechen. Und ganz ideal wäre, wenn der Arzt auch erläutern würde, welche Qualitätsverbeesserung bei der Befundung durch das Screeningprogramm erzielt werden konnten.
derStandard.at: Was war früher schlechter?
Ruda: Radiologen, die heute ins Screeningprogramm eingebunden sind, können das nur mit einer entsprechenden, modernen technischen Ausstattung, also Geräten, die am neuesten Stand der Technik sind. Eine radiologische Praxis muss eine entsprechende Erfahrung bei Mammographien haben, nur dann darf sie mitmachen. Außerdem schauen immer zwei Radiologen einen Befund an. Diese Doppelbefundung soll helfen, falsch-positive Befunde zu vermeiden.
derStandard.at: Eine große Angst ist, dass in Screeningprogrammen schnell wachsende, hochaggressive Tumore bei Mammographien in zweijährigen Intervallen nicht entdeckt werden. Was sagen Sie dazu?
Ruda: Ein Brustkrebsfrühererkennungsprogramm hat Grenzen. Das ist leider so. Wir können diese so genannten Intervallkarzinome nicht verhindern. Doch die Chance der Früherkennung ist besser als ohne Reihenuntersuchung.
derStandard.at: Eine andere Angst ist, dass an sich harmlose Tumore, also solche, die den Organismus nicht gefährden, entdeckt werden und Frauen dann die Strapazen einer Behandlung auf sich nehmen müssen. Überdiagnose ist der Fachbegriff.
Ruda: Das ist ein heikles Thema. Denn jeder Tumor wird, wenn er erkannt wird, behandelt. Das ist, was die Therapie betrifft, eine Gratwanderung. Vor allem auch bei älteren Frauen, die Tumore haben, die kaum wachsen. Da gibt es keine generellen Antworten. Einen entdeckten Tumor nicht zu behandeln ist ja auch ein Risiko. Uns war wichtig, dass die Altersgrenzen nach oben offen bleiben. Hier sind die individuellen Beratungen mit den Vertrauensärzten ja auch ganz entscheidend.
derStandard.at: Ein Radiologe ist selten ein Vertrauensarzt, oder?
Ruda: Es muss ein Zusammenspiel sein. Aber natürlich: Die Radiologen sind die ersten, die Frauen nach einer Mammographie informieren. Unser Programm sieht aber auch vor, dass Frauen bestimmen können, ob ein Befund an ihren Vertrauensarzt weiter geleitet werden soll. Dort können dann weitere Gespräche stattfinden.
derStandard.at: Überängstliche Frauen könnten nun aber auch wesentlich öfter als vorgesehen, zur Mammographie wollen?
Ruda: Es gibt keine Evidenz, dass Screening in kürzeren Intervallen als alle zwei Jahre einen höheren Nutzen hätten. Wir halten uns an die internationale Evidenz für Brustkrebsscreening und es ist dann Aufgabe des Arztes zu beruhigen und Ängst zu nehmen.
derStandard.at: Zu häufige Mammographien verursachen doch auch eine Strahlenbelastung?
Ruda: Genau. Vor allem bei jungen Frauen mit dichtem Brustgewebe wäre eine Strahlenbelastung problematisch. Auch falsch-positive Befunde würden steigen.
derStandard.at: Was würden Sie sich wünschen?
Ruda: dass wir weg von der politischen Diskussion um Teilnehmerinnenzahlen kommen und Frauen die Möglichkeiten eines Vorosorgeprogramms verständlich machen. (Karin Pollack, derStandard.at, 3.12.2014)