Klaus Schuch, Leiter des Zentrums für soziale Innovation (ZSI), fordert ein Forschungsprogramm, um den sozialen Wandel zu begleiten. Eine Thema könnte die Landflucht sein.

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Was versteht man unter einer sozialen Innovation?

Schuch: Grundsätzlich sind soziale Innovationen neue Konzepte und Maßnahmen, die von betroffenen gesellschaftlichen Gruppen angenommen und zur Lösung sozialer Herausforderungen oder Probleme genutzt werden. Ich nenne Ihnen ein Beispiel aus Großbritannien. The Good Gym, eine Non-Profit-Organisation in London, hatte die Idee, Jogger, von denen es dort viele gibt, um einen Gefallen zu bitten - und zwar beim Laufen eine Einkaufstasche für ältere, gebrechliche, einsame Menschen mitzunehmen und sie ihnen nach Hause zu bringen. Das Ergebnis war beeindruckend: Alle fühlten sich bestens dabei, die Pensionisten, die dadurch auch wieder Kontakte knüpfen konnten, und die Jogger, weil sie etwas Gutes tun konnten.

Könnte ein derartiges Projekt auch in Österreich Erfolg haben?

Schuch: Das kann man sicher nicht einfach so übertragen. In Großbritannien ist der Wohlfahrtsstaat bei weitem nicht so ausgeprägt wie in Österreich. Hierzulande könnte leicht der Eindruck entstehen, dass es sich um eine Parallelaktion zur staatlichen Hilfe handelt. Man müsste zuvor diskutieren, inwieweit man das Anbieten von Produkten und Services für Randgruppen auch Privaten überlassen könnte und sollte.

Findet soziale Innovation, wie Sie sie beschrieben haben, überhaupt statt in Österreich?

Schuch: Es gibt viele kleine, hoch engagierte Projekte. Ob es sich um Urban Gardening oder um die Aktivitäten von Selbsthilfegruppen handelt: die Palette ist vielfältig. Man müsste einmal analysieren, was sich da genau tut und diese sozialen Innovationen mappen, ihre Wirkung und Übertragbarkeit untersuchen. Dafür fehlen aber hierzulande die Mittel. So bleiben die sozialen Innovationen auf ihren regionalen Raum beschränkt. Und die Frage, ob man ein erfolgreiches Projekt nicht vielleicht von einer Gemeinde in die andere überführen könnte, bleibt unbeantwortet.

Was läuft demnach falsch bei sozialen Innovationen?

Schuch: In diesen kleinen Bereichen: nichts. Österreich hat aber das Thema lange Zeit programmatisch verschlafen und wacht erst langsam auf. Das betrifft insbesondere den Sozialbereich auf verschiedenen Ebenen. Aber auch in der Forschungsstrategie des Bundes wird soziale Innovation nur ein einziges Mal erwähnt. Mittlerweile ist aber fast jedem klar, dass es neue Technologien alleine nicht richten werden. Solche Entwicklungen müssen Hand in Hand mit sozialwissenschaftlichen Überlegungen gehen. Das müsste eine moderne forschungspolitische Interventionslogik mitdenken. Das ist nicht trivial und heißt: Man muss die Zivilgesellschaft mit einbeziehen, was hierzulande ohnehin nicht ganz einfach ist. Partizipation ist für die österreichische Befindlichkeit eine Herausforderung.

Was würden Sie vorschlagen, um mehr Inputs zu ermöglichen?

Schuch: Wir haben einen Innovationsscheck für technische Entwicklungen. Wir haben aber keinen für soziale Innovationen. Der braucht gar nicht hoch dotiert sein. Ich rede oft mit engagierten Initiatoren, denen wäre mitunter schon mit 500 Euro geholfen. Was ist das im Vergleich zu den Summen, die große naturwissenschaftliche Forschungsprogramme bewegen? Derzeit wird zu viel über den ökonomischen Nutzen einer Innovation gesprochen. Wir haben aber kein Forschungsprogramm, um den sozialen Wandel zu begleiten.

Würde es dafür nicht auch stärkere Sozialwissenschaften brauchen?

Schuch: Die Sozialwissenschaften in Österreich haben einige Schwächen. Dazu muss man aber schon auch sagen, dass die Geistes- und Sozialwissenschaften von zwei Drittel der Studierenden hierzulande belegt werden, und dass das Betreuungsverhältnis zwischen Professoren und Studenten dementsprechend katastrophal ist. Wir analysieren unter anderem diesen Status der Geistes- und Sozialwissenschaften in einem vom Wissenschafts- und Wirtschaftsministerium beauftragten Projekt über den österreichischen Forschungsraum. Da stellt sich für mich schon auch die Frage, inwieweit man mit noch stärkeren Schwerpunktsetzungen und Kooperationen, auch durch intelligente Einbeziehung der außeruniversitären Forschungseinrichtungen, die Angebote bündeln und übersichtlicher machen könnte.

Die Voraussetzungen für die Zukunft der sozialen Innovationen scheinen hierzulande also nicht die besten zu sein?

Schuch: In Österreich haben wir Luft nach oben. Unser Institut existiert seit 1990, seither hat sich einiges getan. Immerhin hat Institutsgründer Josef Hochgerner einen Masterlehrgang "Soziale Innovation" an der Donau-Uni gegründet. Es hängt nicht ausschließlich vom Staat und von den Unis ab, man könnte aber lenkend mehr eingreifen. Es gibt viele Fragen, denen wir uns stellen müssen: Wie geht es weiter mit der Wirtschaft? Und inwieweit geraten Sozialsysteme unter Druck? Was passiert im ländlichen Raum? Wird man der Flucht in die Stadt etwas entgegensetzen können? Und können wir aufgrund des steigenden ökologischen Drucks nachhaltigere Produkte und Konsummuster entwickeln? Es geht also auch um die Frage einer Wissenschaft und einer Forschungspolitik, die diese Transformation unterstützt. Ich hoffe, dass die Politik insgesamt in Zukunft dafür sensibler ist und dem Thema der sozialen Innovation und des sozialen Wandels erhöhte Aufmerksamkeit schenkt. (DER STANDARD, 3.12.2014)