Ein paar Tische, ein Holzofen, Lampen, die ihre Arabesken an die Wand werfen: Im L'Orient wird marokkanische Küche zelebriert.

Foto: Gerhard Wasserbauer

Tagine vom Hendl mit Salzzitronen und karamellisierten Zwiebeln.

Foto: Gerhard Wasserbauer

Man betritt das auf Nummer 22 gelegene Lokal in der Rotensterngasse und verlässt die Leopoldstadt. Man steht in einer Küche, in der hinter einer wild dampfenden Couscoussière Mustapha Khattat an der Arbeit ist. In tönernen Geschirren brodeln Eintöpfe, im Rohr bäht selbstgebackenes Fladenbrot. Khattat hebt den Siebeinsatz mit Couscousgrieß vom Herd. Es duftet nach Zimt, nach Ingwer, Zitronenschale, karamellisierten Zwiebeln und Kreuzkümmel. Khattat ist aus Fez in Marokko gebürtig, seine Frau Marietta Wanner stammt aus Wien.

Wenn man reserviert hat, wird sie einen die paar Stufen in den Gastraum hinabgeleiten, wo ein Kanonenofen bullert und zahllose Lichtquellen ihre Arabesken an die Wand werfen. Willkommen im L'Orient. Man weiß, was es zu essen gibt, das wurde schon bei der Reservierung besprochen. Das L' Orient ist kein Restaurant, es hat eine Lizenz für "freie Gastronomie" und versteht sich als Kompetenzzentrum für marokkanische Küche. An zwei Tagen der Woche hält es für Gäste offen, ansonsten gibt es Kochkurse - oder geschlossene Veranstaltungen für zehn bis 15 Personen. Alkohol wird keiner ausgeschenkt, gegen ein Stoppelgeld kann man aber Wein mitbringen. Deshalb auf die hausgemachten Limonaden mit Nana-Minze, Basilikum und Zitronensirup von der Tante aus Marokko zu verzichten oder auf die hoch exotischen "Panachés" aus Datteln und Mandeln, würde nicht bloß an Unhöflichkeit grenzen, sondern auch an kulinarische Kleingeistigkeit: Sie schmecken auf ganz neue Art köstlich.

Das Ehepaar betreibt im Hauptberuf ein Geschäft für marokkanisches Interieur im sechsten Bezirk. Irgendwann war aber klar, dass die immer öfter stattfindenden Abende mit marokkanischem Essen für Kunden und Freunde in eine Art Lokal münden sollten. Das ist gut so, schließlich ist marokkanisches Essen bis auf wenige Ausnahmen in Wien nicht zu bekommen, obgleich Auskenner - also zum Beispiel Franzosen - nicht zögern, sie gemeinsam mit der libanesischen als faszinierendste des Orients zu preisen.

Na endlich, Pastilla

Das online abrufbare Menü ("La Carte") listet diverse Vorspeisen, allerhand im Tongeschirr geschmorte Tagines, klassisches Couscous mit Lamm, Rind oder Huhn - und Pastilla auf. Ganz egal, für wie viele Gänge man sich bei der Reservierung entscheidet: Dieser einzigartig kunstvolle Strudel aus komplex gewürztem Huhn und geriebenen Mandeln, der zum Abschluss mit Zimt und Staubzucker bestäubt wird, sollte auf jeden Fall dabei sein. Nicht nur, weil dieses mythische Gericht der Küche Marokkos in Wien bislang nicht zu haben war, sondern weil es so außerordentlich gut schmeckt. Couscous gerät nicht immer so feinkörnig fluffig und buttersatt, wie man das von den Couscousspezialisten in Paris oder Marseille (oder im Idealfall aus Marokko selbst) in Erinnerung hat, dafür überzeugt das von einer Tante Khattats selbstgetrocknete und gerührte Harissa ebenso wie die vielschichtig köstliche Tagine vom Hendl mit Salzzitronen und karamellisierten Zwiebeln (im Bild).

Es wird noch etwas dauern, bis Khattat sich an die Eigenheiten der nagelneuen Küche gewöhnt hat - dann aber sollte hier ein toller neuer Ort entstanden sein, an dem sich eine der köstlichsten Küchen von überhaupt auch in Wien auf richtig hausgemachte Art genießen lässt. (Severin Corti, Rondo, DER STANDARD, 5.12.2014)