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Fans des SV Werder Bremen entzünden bengalische Feuer während eines Cup-Spiels im vergangenen Oktober. Inwiefern die bedingungslose Unterstützung des eigenen Teams bzw. die Kränkung des Gegners symbolische Gaben sind, hat der Fanforscher Jochen Bonz untersucht.

Foto: Reuters / Fabrizio Bensch

Innsbruck/Wien - "Der natürliche Grundzustand des Fußballfans ist bittere Enttäuschung, egal, wie es steht", schrieb Nick Hornby einst in seinem Fußballroman "Fever Pitch". Daher schauen viele Fans mit Bewunderung und Verstörung zugleich auf jenes Lager unter den Anhängern, das bis zum Schluss voller Begeisterung mit Schlachtrufen, Transparenten, Choreografien und Bengalos das Team anfeuert - egal, was für ein Mist auf dem Platz gespielt wird: Die Fanbewegung der Ultras, ursprünglich aus Italien stammend, ist im Laufe der letzten zwei Jahrzehnte zu einem bestimmenden Faktor in der deutschsprachigen Fußballfankultur geworden.

Jochen Bonz vom Institut für Geschichtswissenschaften und Europäische Ethnologie der Universität Innsbruck untersucht dieses Phänomen aus kulturwissenschaftlicher Perspektive. Den Ursprung hat sein Interesse im Jahre 2004: Damals noch tätig an der Universität Bremen, wurde er Zeuge, wie die Meisterschaftsfeier des SV Werder Bremen die Stadt an der Weser auf den Kopf stellte.

Die Irritation über diese öffentliche Erregung weckte bei ihm den Wunsch zu ergründen, was der Fußball bei den Menschen auslöst. Dabei fiel sein Blick schnell auf die Ultras, die sich durch besonders leidenschaftlichen Support auszeichnen und deren Verhaltensweisen und Rituale sich von den anderen Fans stark unterscheiden. Bonz: "Ich gehe davon aus, dass Fußballfantum wie jedes andere Fantum auch mit einem Identifikationswunsch zu tun hat. Besonders deutlich zeigt sich das bei den Ultras. Hierbei handelt es sich nicht um ein milieuspezifisches Umfeld, sondern eher um eine moderne Subkultur, die sich in Gruppen organisiert."

Innenperspektive der Fans

Bonz versteht sich als empirischer Kulturwissenschafter und greift bei seinen Forschungen auf die aus der Ethnologie bekannte Methode der sogenannten Ethnografie zurück: Das bedeutet, dass er direkt Gespräche mit den einzelnen Gruppenmitgliedern führt und deren soziale Struktur teilnehmend beobachtet. Mit Fragebögen wie in der Soziologie wird hier nicht gearbeitet: "Die ethnografische Arbeit geht nicht von Fragen, sondern von Erfahrungen aus. Es geht um die Innenperspektive der anderen, und die kann man schlecht abfragen. Jedoch gilt es auch, diese Aussagen zu interpretieren: Was die Menschen sagen, ist etwas anderes, als sie sind."

Auch die Verhaltensweisen der Ultras interpretiert Bonz mithilfe der Ethnologie - nämlich aus der Perspektive des symbolischen Gabentausches. Dabei handelt es sich um einen Erklärungsansatz, der auf eigenartigen Phänomenen beruht, die in archaischen Gesellschaften beobachtet wurden - etwa das ökonomisch nicht nachvollziehbare Zirkulieren von Muschelketten oder die mutwillige Vernichtung von wertvollen Gütern. Bei der genaueren Untersuchung zeigte sich: Gaben wurden nicht durch eine Bezahlung kompensiert, sondern erzeugten eine soziale Schuld, die irgendwann beglichen werden musste und wodurch Beziehungen entstanden.

Auch wenn sich das für Bonz nicht 1:1 auf die Ultras übertragen lässt, bestehe hier eine Parallele: Landläufig werden die Ultras als eine Gruppe wahrgenommen, die sich vom Rest des Vereins und vor allem vom modernen kommerziellen Fußball abschottet. Dieser Eindruck täuscht aber laut dem Innsbrucker Ethnologen, wie er es auch selbst in seiner Arbeit erfahren hat.

Die grundsätzliche Wagenburgmentalität, die man den Ultras unterstellt, konnte er nicht beobachten, vielmehr wären diese Fans, wenn man ihr Vertrauen gewonnen hat, recht auskunftsfreudig: "Diese Gruppe definiert sich nicht über die Abgrenzung, sondern mehr als eine Einheit, die Verbindungen knüpft. Die Identität ihrer Gruppenmitglieder resultiert aus Beziehungen, die zu anderen Gruppen unterhalten werden."

Im Gegensatz zu den Hooligans, die sich über die radikale Abgrenzung und klare Feindbilder definieren, betreiben die Ultras ständig Kommunikation innerhalb des Beziehungsgeflechts aus anderen Supportern, Fanbeauftragten, den Vereinsverantwortlichen und Autoritäten vom Ligaverband bis zur Polizei. Hier besteht laut Bonz ein ständiger Gabecharakter: Man gibt allumfassende Unterstützung für den Verein, nimmt aber auch gegnerischen Ultras die Fahnen weg und spricht Kränkungen aus.

Kampf um Anerkennung

Das Moment der Gabe besteht auch im Bezug auf die Vereinsführung. Als konkretes Beispiel verweist Bonz auf den FC Wacker Innsbruck: Hier besitzen die Ultras die Rechte am Vereinsnamen, den sie dem Klub jährlich in Lizenz zur Verfügung stellen. Mit dem Erlös finanziert man Fanprojekte und Aufklärungsarbeit.

Grundsätzlich sei für die Ultras das Management viel weniger das verhasste Feindbild als häufig angenommen: Die Ultras kämpfen vielmehr um die Anerkennung der Klubbosse, anstatt sich als eine Radikalopposition im Verein zu definieren. Den Zwist, den es aktuell in vielen Vereinen zwischen den Vereinsoffiziellen und ihren Ultrablöcken gibt, führt Bonz auf fehlgeschlagene Kommunikation zurück.

Die Klubführungen würden die Zusammenarbeit mit diesen Fanfraktionen häufig rigoros ablehnen: "Der Umgang mit den Ultras ist für die Vereinsführungen mit Anstrengung verbunden. Das ist ähnlich wie bei den Konflikten von Vätern mit ihren pubertierenden Söhnen. Aber ein moderner Fußballmanager will doch in erster Linie sportlich erfolgreich sein und kein Vater, der sich um seine Fans kümmern muss. Aber eigentlich fordern die Ultras genau das ein." (Johannes Lau, DER STANDARD, 3.12.2014)