Unter Trauerbekundungen vieler Dissidenten, die sonst kaum noch in Chinas Öffentlichkeit auftreten, wurde am Dienstag in Peking des verstorbenen früheren Parteireformers Cao Siyuan gedacht.

Foto: Johnny Erling

Die Polizeispitzel sind leicht zu erkennen. Sie haben sich keine weißen Trauerblumen angesteckt. Sie schauen auch nicht zum offenen Sarg hin, wo der gestorbene Verfassungsrechtler und Regimekritiker Cao Siyuan aufgebahrt liegt. Sie achten nur darauf, wer die Aufschriften auf den Kränzen und auf den Nachrufen im Vorraum liest, mit dem Handy abfotografiert und offensichtlich gleich ins Netz weiterleitet.

Die Namen bekannter Dissidenten, die in China weder genannt noch gedruckt werden dürfen, stehen auf den Schleifen, auch von denen, die nach dem Tiananmen-Massaker an Chinas Demokratiebewegung 1989 ins Exil flohen. Darunter etwa Politologe Yan Jiaqi, der liberale Unternehmer Wan Runnan oder der Publizist Zhang Weiguo. Cao, der 1989 zwischen Studenten und Regierung vermitteln wollte, blieb damals in China. Die Pekinger Behörden dankten es ihm nie. Sie beschuldigten ihn, Anstifter der Studentenproteste gewesen zu sein. Nach einem Jahr in Haft ließen sie ihn frei, als sich nichts Belastendes gefunden hat.

Offizielle Presse schweigt

Hunderte nahmen Dienstag mit der traditionellen dreimaligen Verbeugung vor dem Sarg Abschied von einem für Chinas Partei unbequemen Querdenker. Sein Tod wurde von der offiziellen Presse nicht gemeldet. Cao starb mit nur 68 Jahren an Krebs. Die Trauerfeier für ihn wurde zur demonstrativen Kundgebung, dass die von der Zensur totgeschwiegenen Bürgerrechtler im Aus- oder im Inland noch da sind. Die Nachricht verbreitete sich rasch unter den Mikroblogs.

Auch der 84-jährige Militärarzt Jiang Yanyong kam zur Totenfeier. Einst hatte er der Weltöffentlichkeit die von Pekings Führung geheim gehaltene SARS-Epidemie in Peking 2003 enthüllt und war seither schikaniert und ins politische Abseits gedrängt worden.

"Quelle des Nachdenkens"

Auf Dutzenden aushängenden Nachrufen gedachten Cao auch die Tochter des gestürzten Parteichefs Zhao Ziyang und der Ökonom Mao Yushi. Den Eingang der Totenhalle umrandete eine Aufschrift in der Form eines klassischen Gedichts. Ihrem Sinn nach bedeutet sie, dass der Geist der Vorkämpfer für Demokratie und Volkswohl auch nach ihrem Tod weiterlebe. In dem kunstvoll geschriebenen Couplet verbirgt sich Caos Vorname "Siyuan" – wörtlich "Quelle des Nachdenkens".

Keine Parteifahne, sondern ein weißes Tuch mit rotem Kreuz, bedeckte den Körper von Cao, der einst für die Parteihochschule arbeitete. 2013 ließ er sich als Christ taufen. Bei seiner Totenfeier sang ein Kirchenchor.

Cao arbeitete für den Staatsrat, entwarf Chinas erstes Konkursrecht, das 1988 in Kraft trat. Er verlangte den Schutz des "Privateigentums" in die sozialistische Verfassung zu schreiben, was 2004 erst gelang.

Bekannte Namen

Auf der Schleife unter einem Blumenstrauß, der direkt vor dem Sarg lag, standen auch die Namen von Bao Tong, dem mitverfolgten politischen Sekretär des gestürzten Parteichefs Zhao oder von Gao Yu. Die heute 70-jährige Journalistin, die einst auch für die "Deutsche Welle" aus Peking Beiträge verfasste, wartet in Polizeihaft auf ihre Verurteilung.

Sie soll, wie die Parteizeitung "Global Times" berichtete, den Inhalt eines geheimen KP-Dokuments dem Ausland verraten haben. Es ging darum, wie Chinas Führung die Partei wieder ideologisch auf antiwestliches und antiliberales Gedankengut einschwören lässt.

Gegen solche Willkür wollte Cao immer grundsätzlich vorgehen. Mit ständigen Eingaben und zehn Revisionsentwürfen an den Volkskongress forderte er seit drei Jahrzehnten zur Reform einer Verfassung auf, in der bis heute die Führung durch die Partei und Chinas Staatsform als "volksdemokratische Diktatur" festgeschrieben steht. Damit widerspreche die Volksrepublik schon in der Präambel ihrer Verfassung allen Bekundungen, ein Rechtstaat zu sein oder werden zu können. (Johnny Erling aus Peking, DER STANDARD, 3.12.2014)