"Wenn das die SPÖ nicht kapiert, wird sie sterben", sagt Nikolaus Kowall über fehlende Mitsprachemöglichkeiten in der Partei.

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derStandard.at: Sie haben sich als Parteirebell einen Namen gemacht, jetzt ziehen Sie sich aus der SPÖ zurück: Kann man die Partei von innen nicht verändern?

Nikolaus Kowall: Doch, wir haben ja die Partei stark von innen verändert. Am Parteitag am Wochenende wurde deutlich, wie wenig Ehrfurcht viele Delegierte vor der Parteiführung haben. Die Diskussionskultur innerhalb der SPÖ hat sich stark verändert, und auch die Selbstwahrnehmung vieler Basisgruppen hat sich gewandelt. Das wird sich noch verstärken. Die Kräfte, die wir freigesetzt haben, werden sich noch stärker bemerkbar machen.

derStandard.at: Werner Faymann hat beim Parteitag mit 83,9 Prozent ein für ihn enttäuschendes Ergebnis eingefahren. Hat Sie das überrascht?

Kowall: Das hat mich tatsächlich überrascht. Ich hatte erwartet, dass die Mitglieder ihn aus Räson besser abschneiden lassen werden als beim letzten Mal. Faymann hat aber die Stimmen am Parteitag verloren, weil der sagenhaft lieblos gestaltet war. Es hat eine gespenstische Atmosphäre geherrscht, überhaupt keine Aufbruchsstimmung.

derStandard.at: Wie hat sich das bemerkbar gemacht?

Kowall: Faymanns Auftritt war eine Themenverfehlung. Er ist nicht als Parteichef aufgetreten, sondern als Kanzler und Mitglied des Europäischen Rates. Die Fragen, die für die Partei überlebenswichtig sind, wie Programm- oder Organisationsprozess, spielen in Faymanns Welt keine Rolle. Er hat auch in seinem Umfeld keine Leute, die die Partei im Auge haben. Dieser Kontrast ist dort deutlich geworden. Hätte man sich mehr auf die SPÖ konzentriert und da Pepp reingebracht, hätte er auch über 90 Prozent bekommen

derStandard.at: Das lag aber in der Verantwortung von Bundesgeschäftsführer Norbert Darabos, der den Parteitag organisiert hat.

Kowall: Die Bundesgeschäftsführung hat den Parteitag versemmelt, aber der Vorsitzende hätte auch die Möglichkeit, Vorgaben zu machen.

derStandard.at: Haben Sie für Faymann gestimmt?

Kowall: Ja, weil ich keine Alternative zu ihm sehe und ich ihn für die Steuerreformverhandlung nicht schwächen wollte. In drei Monaten steht es "Spitz auf Knopf": Entweder es wird eine Steuerreform geben, wo ein erheblicher Teil über die Vermögensseite finanziert wird, oder die Regierung fällt sowieso. Es hat keinen Sinn, ihm jetzt ein Hackel ins Kreuz zu hauen, da stärke ich ihn lieber für die Verhandlungen, damit wir wirklich eine substanzielle Vermögenssteuer bekommen.

derstandard.at: Ist er geschwächt, wie Sie befürchtet haben?

Kowall: Mitterlehner hat in dem Poker bessere Karten. Früher hätten wir mit einer Neuwahl drohen können – zur Abstimmung über Vermögenssteuern.

derStandard.at: Ist er froh, Sie loszuwerden?

Kowall: Ich glaube nicht. Das ist für ihn in Wirklichkeit nicht relevant.

derStandard.at: Gibt es zu wenige kritische Stimmen in der SPÖ?

Kowall: Wir würden uns wünschen, dass es anders ausschaute und wir mehr Verbündete hätten. Derzeit sind wir eine Minderheit. Es gibt aber immer mehr Widerstände, die zeigen, dass es nicht mehr möglich ist, dass die Parteispitze durchregiert. Viele Leute wollen ein Gleichgewicht zwischen Spitze und Basis sowie die Rechtsstaatlichkeit in der SPÖ herstellen – Stichwort Schiedsgericht in der Causa Ablinger.

derStandard.at: Sie fordern mehr Mitsprache, um die Masse besser zu erreichen: Wie soll das gehen?

Kowall: Um eine kritische Masse zu erreichen, ist die einzige Möglichkeit, die Leute mitbestimmen zu lassen. Heute sagen nicht mehr Kirche, Gewerkschaft und Partei den Menschen, wie sie zu denken haben. Sie machen sich selbstbewusster und selbstständiger Gedanken. Mit einer paternalistischen, autoritären Organisation wie der SPÖ kann man niemanden mehr locken. Die Parteimitgliedschaft muss einen Sinn haben, das geht nur, wenn die Menschen eingebunden werden. Wenn das die SPÖ nicht kapiert, wird sie sterben.

derStandard.at: Wie lange geben Sie der SPÖ noch?

Kowall: Ohne signifikante Veränderung ist sie in 15 Jahren unter der Wahrnehmungsgrenze.

derStandard.at: Haben Sie mit der Politik ganz abgeschlossen?

Kowall: Nein, aber ich werde nicht für Werner Faymann arbeiten, das funktioniert nicht. In einer anderen SPÖ kann ich mir einiges vorstellen. (Marie-Theres Egyed, derStandard.at, 2.12.2014)