"Frühlingsopfer" von She She Pop.

Foto: Davy De Pauw

dieStandard: Sie arbeiten als Frauen-Performance-Kollektiv. Was verstehen Sie darunter?

Ilia Papatheodorou: Jede ist ihre eigene Regisseurin. Wir erarbeiten unsere Shows im Kollektiv. Es gibt auch keinen Autor und keine Schauspieler. Texte und Konzepte werden gemeinsam entwickelt.

dieStandard: Wie dürfen wir uns das im Fall des aktuellen Stückes "Frühlingsopfer" vorstellen? Wie finden Sie das Thema?

Papatheodorou: Nach unserem Väterstück, das von "King Lear" inspiriert war, sind wir immer wieder gefragt worden: Wann macht ihr denn ein Mütterstück? Dafür wollten wir aber einen ganz anderen Zugang finden als diesen sehr diskursiven, den wir bei "Testament" verwendet haben. Also haben wir gesagt: Lasst uns ein Tanzstück machen, etwas, das wir nicht können! (lacht)

dieStandard: Die Produktion ist an Igor Strawinskys "Frühlingsweihe" angelehnt. Dabei geht es um eine Jungfrau, die sich im vorchristlichen Russland in einem Ritual zu Tode tanzt. Wie haben Sie den Stoff transformiert?

Papatheodorou: Es ging uns um die Frage nach dem weiblichen Opfer, aber um das aktive Opfer, nicht das passive. Diese Frage wollten wir zwischen die Generationen platzieren, also in diesem Fall zwischen Mütter und Töchter.

dieStandard: Sie haben dazu die Auseinandersetzung mit Ihren eigenen Müttern gewählt. Warum?

Papatheodorou: Der Bezug zum eigenen Leben ist für uns Methode, nicht das Thema. Es ist ein Weg, um zu Material zu kommen. Eine Mutter hat zum Beispiel bei den Proben gesagt: "Ich habe meine Tochter emanzipiert." Das ist paradox. Man kann sich nur selbst emanzipieren. Unsere Mütter haben strukturelle, patriarchale Gewalt noch erlebt, das blieb uns erspart. Das ist glückhaft, dass wir in dieser Zeit in Mitteleuropa aufgewachsen sind.

dieStandard: Was hat Sie an der Idee des Rituals interessiert?

Papatheodorou: Die Abläufe sind ganz klar – wie in der Kirche, da weiß man auch, wann man sich hinkniet. Es geht in unserem Fall darum, krisenhafte Situationen in ritualisierter Form auszuagieren. Das ist fast wie ein Exorzismus. Die Mütter auf der Leinwand sind dabei gleichzeitig anwesend und abwesend.

dieStandard: Sie bezeichnen sich als Frauenkollektiv, She She Pop ist Ende der 90er-Jahre von Absolventinnen des Gießener Instituts für Angewandte Theaterwissenschaft gegründet worden. Mitglieder sind Johanna Freiburg, Fanni Halmburger, Lisa Lucassen, Mieke Matzke, Berit Stumpf, Sie selbst und Sebastian Bark, ein Mann.

Papatheodorou: Sebastian hat das aktiv betrieben, dabei mitzumachen. Am Anfang hat das unsere Identität schon stark infrage gestellt. Wir waren das einzige explizit weibliche Performance-Kollektiv in der deutschsprachigen Landschaft, und dann war da auf einmal ein Mann dabei. Und dann haben alle auf den Mann geschaut und gedacht: Das ist der Regisseur. Das ist noch heute manchmal so. (lacht) Da muss man aufpassen. Aber dass er mitmacht, ist immer wieder eine Bereicherung in unserem Diskurs und ein Anlass, die Geschlechterfrage integrativer anzugehen. (Tanja Paar, dieStandard.at, 2.12.2014)