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Depersonalisation bezeichnet den Verlust bzw. die Veränderung des natürlichen Persönlichkeitsgefühls – hier veranschaulicht vom ukrainischen Künstler Viktor Sidorenko.

Foto: REUTERS/Konstantin Chrnichkin

Viele Kinder und Jugendliche leiden unter einer eingeschränkten psychischen Gesundheit. Zu diesem Ergebnis kommt eine repräsentative Befragung, die die Universitätsmedizin Mainz unter 3.809 Schülern im Alter von 12 bis 18 Jahren in Rheinland-Pfalz durchgeführt hat.Die Studienergebnisse wurden jüngst in der Fachzeitschrift "Social Psychiatry and Psychiatric Epidemiology" publiziert

Rund 32 Prozent der Schüler wiesen ein erhebliches Ausmaß an psychischer Belastung auf. 12 Prozent der befragten Schüler waren durch Symptome von Depersonalisation belastet. Sie berichteten über unangenehme Erfahrungen, sich von sich selbst und der Umwelt abgetrennt zu empfinden oder sich selbst und die Umwelt als unwirklich zu erleben.

Unwirklicher Zustand

"Seine Stimme klang wie die eines Fremden" – so lässt der japanische Erfolgsautor Haruki Murakmi in seinem Roman "Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki" seine Hauptfigur dessen Unwirklichkeitsgefühle beschreiben. Der Protagonist fühlt sich verändert, fremd, empfindet sich als unwirklich und beobachtet als Zuschauer sein Handeln und Tun. Er leidet unter Depersonalisation. Der Verlust bzw. die Veränderung des ursprünglichen, natürlichen Persönlichkeitsgefühls und ein Gefühl von Unwirklichkeit sind jedoch für viele Menschen keine Fiktion, sondern im schlimmsten Fall alltägliche Realität.

In der Phase des Heranwachsens von Jugendlichen, der sogenannten Adoleszenz, sind Symptome von Depersonalisation nicht selten. In der Befragung gaben insgesamt 47 Prozent der befragten Schüler an, zumindest an einzelnen Tagen in den letzten zwei Wochen durch solche Symptome belastet gewesen zu sein. Dass zwölf Prozent der Schüler stark belastende Symptome von Depersonalisation bekundeten, überraschte die Mainzer Forscher jedoch.

Damit wies die Schülergruppe deutlich häufiger starke Symptome von Depersonalisation auf als die Allgemeinbevölkerung, in der dies nur mit einer Häufigkeit von ein bis zwei Prozent vorkommt. Von einer sehr hohen allgemeinen psychischen Belastung berichteten darüber hinaus rund 32 Prozent der 12- bis 18-jährigen Schüler in Rheinland-Pfalz. Das Ausmaß an psychischer Belastung entspricht jener von Jugendlichen, die sich wegen seelischer Erkrankungen in stationärer Behandlung befinden.

Zusammenhang mit Drogen

Bei genauerer Untersuchung der betroffenen Befragten stellte sich heraus, dass Schüler, die Nikotin und Cannabis konsumierten häufig unter Depersonalisation litten. Ganz besonders eng hing starke Depersonalisation zusammen mit sozialen Ängsten, männlichem Geschlecht, geringerer Schulqualifikation, stark verminderter Selbstwirksamkeit und schlechteren Fertigkeiten, Probleme konstruktiv zu lösen.

Obgleich Depersonalisation kein neues und kein seltenes Phänomen ist, gibt es wenig Forschung dazu. Angesichts der Häufigkeit klinisch relevanter Depersonalisation sehen die Mainzer Forscher jedoch noch viel Forschungsbedarf.

"Zum einen sind Längsschnittuntersuchungen wichtig, um zu überprüfen, wie sich die Depersonalisation im Verlauf entwickelt. Zum anderen bedarf es auch vermehrt klinischer Studien, um Betroffenen besser helfen zu können", sagt Psychotherapeut und Psychosomatiker Matthias Michal. (red, derStandard.at, 1.12.2014)