Alfred Drabits Ende 2014. "Ich schaue viel fern."

Foto: Christian Hackl/STANDARD

Wien – Ende November, Anfang Dezember geht es Alfred Drabits gar nicht gut. Der Nebel, das Nieseln, die Kälte, die kürzer werdenden Tage schlagen aufs Gemüt. Dabei nimmt er ohnedies Pulver gegen die Depressionen. Seit Jahren. "Um diese Zeit muss ich die Dosis erhöhen." Eine Wohnung in Sankt Veit an der Gölsen hat er sich gerade eingerichtet, das Haus ganz in der Nähe ist ihm viel zu groß geworden. "Die Arbeit im Garten schaffte ich nicht mehr, ich habe es verkauft." 80 Quadratmeter reichen vollauf, der Fredi lebt alleine, die Scheidung ist zu lange her, um sich an die Ehe zu erinnern. Kinder hat er keine, "aber sieben Neffen und Nichten".

Der kleine Balkon wird im Sommer "super" sein, sozusagen eine Oase aus Beton, die keinen Rasenmäher benötigt. Auf Urlaub fährt der Fredi selten bis nie, Ausnahme ist die Woche im Jänner, da gehen die alten Austrianer gemeinsam Skifahren. Ins Zillertal nach Mayrhofen zum Uli Spieß. Herbert Prohaska organisiert das, er sorgt dafür, dass diese Tradition eine bleibt. "Der Schneck ist ein super Mensch, ein echter Freund, er hat mir immer geholfen, Ärzte für mich gesucht und geschaut, dass es mir gutgeht." Skifahren kann der Fredi nicht mehr, aber das Beisammensitzen und Schmähführen am Abend "ist auch nicht schlecht". Wobei Drabits das Sprechen schwerfällt. "Mir gelingt es mittlerweile, einfache Sätze zu bilden. Mein Sprachzentrum ist gestört."

Schlaganfall

29. Jänner 2010: Drabits wurde zu einer Untersuchung ins Krankenhaus St. Pölten beordert, sein Sportlerherz machte Mucken. Es sollte sich herausstellen, dass es passt, kein Katheter, kein Stent. Während des Aufenthalts erleidet Drabits einen schweren Schlaganfall. "Warum, kann mir bis heute keiner erklären." Der Fredi hat weder geraucht noch gesoffen, richtig blad ist er auch nicht gewesen. Risikofaktoren hatten andere.

Die rechte Körperhälfte war gelähmt, an die folgenden zwei Jahre erinnert sich Drabits nur schemenhaft. Therapien, Reha, Logopäde, er musste gehen und sprechen lernen. Mit dem Alphabet hat er nach wie vor seine Not. "Welcher Buchstabe nach dem F kommt, ist keine leichte Übung." Der rechte Arm und das rechte Bein sind ein bisserl taub. "Aber ich kann sie relativ normal benützen, Sport geht halt nicht." Ist er in der Reha, "schiebe ich jene, die im Rollstuhl sitzen, durch den Park. Die hat es ärger erwischt, die brauchen dringend meine Hilfe."

Alfred Drabits wurde am 6. April 1959 in Traisen geboren. Eine klassische Arbeiterfamilie, der Papa ist bei der Voest beschäftigt, drei Schwestern, ein Bruder. Die Verwandtschaft ist fußballnarrisch, der kleine Fredi der beste Kicker, die Kugel klebt förmlich an seinem Fuß. Ein trickreicher Stürmer, wie es ihn in Traisen wohl nur alle tausend Jahre gibt. "Die Frage war immer nur, wer der zweitbeste Drabits ist."

Dickes Auto

Er spielte beim WSV Traisen in der Landesliga, machte eine Ausbildung zum Dreher. Der Gedanke, Fußballprofi zu werden, "war weit weg". Als dann im Jahre 1978 ein dicker BMW vorfuhr, war er, der Gedanke, ganz nah. Erich Hof, damals Trainer beim Wiener Sportklub, hatte gemeinsam mit Bruder Norbert die Familie Drabits heimgesucht. Es war ein wunderbarer Nachmittag, der in einem Profivertrag endete. 8000 Schilling Fixum, 1500 Schilling Punkteprämie. "Ein Wahnsinn, als Lehrling hatte ich 600 Schilling." Drabits übersiedelte nach Wien, in den ersten Monaten jobbte er zusätzlich bei der Post, er trug in Hernals und Ottakring Briefe aus. Seine Orientierungsschwierigkeiten sind legendär. "Ich war Springer, hatte oft neue Rayons. Manchmal bin ich zu spät zum Training gekommen, weil ich Adressen nicht gefunden habe."

Für den Sportklub hat er in 100 Spielen 45 Tore geschossen. 1981 nahm ihn Erich Hof zur Austria mit, Ablöse 2,4 Millionen Schilling. Drabits sollte bis 1988 bleiben und in 197 Partien 96-mal treffen. "Ich war ballverliebt, habe aber auch immer abgespielt. Ich war nie ein Egoist." Die Austria wurde seine Heimat, seine große Liebe, die früh begann. "Als ich ein kleiner Bub war, hat mir der Ernst Ocwirk ein Zuckerl geschenkt. Seither bin ich Austria-Fan." Der Fredi ist bei seinen Mitspielern total beliebt, regelmäßig hat er dem Prohaska und dem Erich Obermayer die Palatschinken weggegessen. Man hat es an den Hüften gemerkt. "Wenn ich am Donnerstag auf die Waage gestiegen bin, kam der Schock." Sie nannten ihn Palatschinken-Fredi und Mehlspeisentiger.

Schlampiges Genie

Trotzdem hat er brav trainiert. "Ich war eher das schlampige Genie." Er setzte nie die Ellbogen ein, blieb bescheiden, was Austria-Chef Joschi Walter freute. "Ich habe das genommen, was sie mir gegeben haben. Und ich war glücklich." Einmal hat Nottingham angefragt, der Fredi hat abgesagt. "Erstens leide ich unter Flugangst, zweitens war ich für so ein Abenteuer zu feig."

Spielhallenbetreiber, Diskothekenbesitzer, Pelzmantelproduzenten oder Autoverkäufer zählten Drabits nicht zur Kundschaft. Prohaska erinnert sich: "Man musste ihn zu einem Bier überreden. Der Fredi ist einfach nur ein wunderbarer Mensch." Die Karriere im Nationalteam war recht kurz, sie umfasste sieben Spiele. "Am Krankl und Schachner war kein Vorbeikommen."

Zweiter Mann

1988 wechselte er zur Vienna (68 Einsätze, 15 Tore), 1991 war Schluss: Achillessehnenriss. Drabits jobbte in einem Sporthotel, er war bei kleineren Vereinen Co-Trainer und 2006 in der Hollabrunner Nachwuchsakademie des Frank Stronach beschäftigt. Die gibt es nicht mehr. "Cheftrainer war nie etwas für mich. Ich bin für so eine Position zu lieb, ich bin der klassische zweite Mann."

Alfred Drabits ist Frühpensionist. Alle zwei Wochen fährt er in die Generali Arena zu den Austria-Spielen, er gehört dem Legendenklub an. "Darauf bin ich stolz, das ist meine Familie." Vor einem Jahr ist eine seiner Schwestern verstorben. "Das hat mich umgehauen." Der Fredi hat Zeit. "Ich schaue viel fern." Seit dem Schlaganfall glaubt er an den lieben Gott. "Ich hab ja Zeit dafür." Und nach dem F, sagt Alfred Drabits, "kommt das G". (Christian Hackl, DER STANDARD, 1.12.2014)