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In der irakischen Stadt Najaf befindet sich der Schrein von Imam Ali - und die historisch wichtige Schule der Schia, die Hawza von Najaf. Ihr höchster Vertreter ist Ayatollah Sistani.

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Seyyed Jawad al-Khoei: "Najaf ist die wichtigste Referenz"

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Wien – "Religion und Staat gehören getrennt." Das sagt laut Seyyed Jawad al-Khoei "Najaf": Der 34-jährige Mullah meint mit "Najaf" das Kollektiv der schiitischen Gelehrten in der Stadt im Irak, in der sich der Schrein des ersten schiitischen Imam, Ali, befindet. Najaf und seine "Marja’iya", die höchsten Instanzen, das ist die schiitische Referenz schlechthin seit tausend Jahren, wie Khoei im Gespräch mit dem Standard sagt.

Die Familie Khoei ist selbst Teil dieser Tradition: Jawads Großvater war Großayatollah Abul qasim al-Khoei (gestorben 1992), und dieser war der Lehrer des wichtigsten der heutigen vier Großayatollahs von Najaf, Ali Sistani. "Da wird alles zusammengeführt", sagt Khoei.

Der Iran spricht nicht für alle Schiiten

"Najaf" tritt also für einen zivilen Staat ein – das heißt, die dortigen Großayatollahs übernahmen das von Khomeini im Iran eingeführte Staatsmodell nicht, das der spätere Revolutionsführer in den 1970ern im Exil ausgerechnet in Najaf erarbeitete. Das ist zwar nichts Neues, aber Khoei führt es als Beispiel an, um zu betonen, dass der Anspruch des Iran, für alle Schiiten zu sprechen, unangemessen sei.

Aber die Sunniten hätten das gleiche Problem mit Saudi-Arabien, sagt Khoei, auch da werde ein Führungsanspruch gestellt, obwohl es noch andere wichtige religiöse Referenzen gibt, wie Al-Azhar in Kairo.

Kaiciid-Konferenz "prinzipiell wichtig"

"Früher war es die osmanisch-safawidische Auseinandersetzung, heute sind wir Opfer des Konflikts zwischen dem Iran und Saudi-Arabien", sagt Khoei, der einer der wenigen Schiiten war, die vergangene Woche der Einladung des "König Abdullah"-Dialogzentrums (Kaiciid) zu einer Konferenz zu Religion und Gewalt in Wien folgten. Die Konferenz lobte Khoei als prinzipiell wichtig. Aber dass das heiße Eisen kaum angefasst wurde, dass der "Islamische Staat" (IS) auch als Phänomen der sunnitisch-schiitischen Auseinandersetzung zu sehen sei, bestätigt er. Es sei schon wahr: "Nicht alle Sunniten sind IS oder al-Kaida, aber IS und al-Kaida sind allesamt Sunniten."

Die Verantwortung liege auf alle Fälle bei den Muslimen: Sie müssten alle anderen Religionen im Irak schützen, Christen, Jesiden, Mandäer. Die Mandäer (auch Sabier/Sabäer) im Südirak sind Angehörige eines synkretistischen Glaubens mit christlichen, jüdischen und gnostischen Elementen, in dem Johannes der Täufer eine besondere Rolle spielt. Khoei hat eine eigene Dialogschiene mit ihnen eingerichtet.

"Laute" und "leise" Schiiten

Auch mit den Schiiten im Irak geht er kritisch um: Leider sei da die Gruppe der Vernünftigen die leiseste. Von den "lauten" Schiiten säßen manche in Regierung und Parlament, sie stünden oft dem Iran nahe. Oder dem – zumindest früher sehr radikalen – Schiitenführer Muqtada al-Sadr: Auf die Frage, wen die Familie Khoei für die Ermordung von Abdulmajid al-Khoei im April 2003 in Najaf verantwortlich mache, antwortet er diplomatisch: Die gerichtlichen Ermittlungen hätten ergeben, dass es ein Mob im Auftrag Sadrs gewesen sei.

Abdulmajid al-Khoei galt als junge charismatische schiitische Führungsfigur, und Sadr wollte ihn wohl als Konkurrenten ausschalten, als dieser nach dem Sturz Saddam Husseins nach Najaf, wo Sadr auch die alten Ayatollahs herausforderte, zurückkehrte. Der ermordete Abdulmajid al-Khoei war ein Onkel Jawads, dessen Vater Mohammed Taqi 1994 wiederum bei einem "Autounfall" – von den Schergen Saddam Husseins eingefädelt – umkam.

Ein zutiefst gespaltener Irak: Wird es ihn in zehn Jahren in den heutigen Grenzen noch geben? "Wenn Sie mich vor drei Monaten gefragt hätten, hätte ich Nein gesagt", antwortet Khoei. Aber vieles habe sich verändert – da meint er wohl vor allem den Abgang von Premier Nuri al-Maliki, der am Schluss von Sistani unverblümt abgelehnt und nicht mehr empfangen wurde. Inzwischen gibt es den neuen Premier Haidar al-Abadi, der den anderen konfessionellen und ethnischen Gruppen mehr entgegenkommt. Und so gibt es für Khoei die paradoxe Hoffnung, dass gerade die Bedrohung durch den "Islamischen Staat" einen Prozess in Gang gesetzt hat, der im Irak etwas "Neues zum Blühen bringt". (Gudrun Harrer, DER STANDARD, 29./30.11.2014)