Ein Zusammentreffen zweier einstmals ineinander Verliebter, bei dem nichts mehr stimmt: Nina Hoss und Ronald Zehrfeld in Christian Petzolds Melodram "Phoenix".

Foto: Stadtkino

Wien - Ein Zug hält, eine Frau steigt aus. Ihr Mund ist lippenstiftrot. Sie weiß, dass sie erwartet wird. Die Begrüßungsrunde steht bereit, Freunde, die sich schon lange nicht gesehen haben. Jeder spielt hier seine Rolle, man zeigt Freude, die Erleichterung ist groß. Ganz am Schluss blicken sich die Frau und der Mann lange an. Wüsste man nicht an dieser Stelle schon viel mehr, so wäre spätestens jetzt klar, dass die beiden einst ein Liebespaar waren.

Die Szene aus Christian Petzolds Film Phoenix ist purer Fake, die einstudierte Vorstellung einer Wirklichkeit, die nie stattgefunden hat. Real ist nur die Vergangenheit des Paares, von Nelly Lenz (Nina Hoss), einer Jüdin, und dem deutschen Musiker Johannes (Ronald Zehrfeld). Sie waren ein Paar in Berlin, bis der Holocaust dazwischentrat.

Johannes hält Nelly, die wohl durch seine Schuld ins Konzentrationslager kam, für tot. Doch Nelly hat überlebt, sie spielt nun sogar die Frau, die für Johannes in der fingierten Szene aus dem Zug steigt - das infame Spiel soll ihm den Zugriff auf ihr Erbe ermöglichen. Der Makel: Er weiß gar nicht, wer sie ist, weil er sie nicht wiedererkennt. Um das zu begründen, wählt Petzold - frei nach der französischen Krimi-Vorlage von Hubert Monteilhet - eine fadenscheinige Konstruktion: Nelly hat ein neues Gesicht, das ihrem alten allerdings aufs Haar gleicht.

Alle Rückwege sind verstellt

Wer in Phoenix psychologische Glaubwürdigkeit vermisst, dem entgeht die entscheidende Setzung dieses großartigen Films. Denn das Nichterkennen ist ein Bild für die Verwerfungen des Krieges, das Trauma des Nationalsozialismus, der in dem artifiziell gehaltenen Film noir alle Beziehungen kontaminiert. Die Rückkehr zu einem Zustand der Unschuld ist für immer verstellt.

Für Nelly freilich bedeutet dies: die Unschuld der anderen. Aber gerade weil sie das Ansinnen hegt, ihren Mann zurückzugewinnen und damit ihre frühere Identität, selbst um den Preis, die Doppelgängerin ihrer selbst zu sein, tritt die verkehrte Kontinuität nach dem Krieg umso fataler zutage.

Petzold und sein dieses Jahr verstorbener Koautor Harun Farocki treiben dieses Spiel mit Präzision voran, sie spitzen die Situationen zu, bis sie an ihrem doppeltem Gewicht zu platzen scheinen. Die Kolportage, die in der Erzählung angelegt ist, wird nicht verschleiert, sondern ausgestellt. Die Künstlichkeit, die intensiven Farben, die Schatten in den Settings sind auch ein Verfahren gegen Strategien des kommerziellen Geschichtsdramas, das glaubt, alles rekonstruieren, moralisch aufzulösen zu können.

Hoss hat schon in Barbara mit Zehrfeld ein mögliches Paar verkörpert; nun gibt sie, zerbrechlicher, als man sie kennt, eine Frau, die wie ein Phantom durch die Trümmerstadt irrt und Umwege nimmt, um sich nicht mehr über andere bestimmen zu lassen. Phoenix spielt unterschwellig auf Filme wie Vertigo oder George Franjus Horrorstück Les yeux sans visage an, aber mehr noch hat der Film mit Fassbinder gemeinsam, einem weiteren deutschen Regisseur, der den Umweg über das Melodram nahm, um die unaufgelösten Widersprüche seines Landes in den Blick zu nehmen. (Dominik Kamalzadeh, DER STANDARD, 29./30.11.2014)