Mario Pricken: "Wir lieben es, mit Bedeutsamem

in Berührung zu kommen."

Foto: Heribert Corn

STANDARD: Was ist Ihr wertvollster Besitz?

Pricken: Meine Gitarren, ich liebe sie.

STANDARD: Sie haben 300 teure Objekte untersucht und 80 Parameter ausgemacht, die sie kostbar machen. Was davon trifft auf Ihre Gitarren zu?

Pricken: Eine Fender 1967 kann raufgehen bis auf 200.000 Euro. Aber der monetäre Wert ist nur das eine. Das andere ist, was ich mit ihnen verbinde. Unter ihnen ist das Instrument meines Vaters.

STANDARD: In meinem Keller rostet unter Spinnweben ein altes Waffenrad vor sich hin. Was muss ich tun, um ihm die Aura des Wertvollen zu verleihen?

Pricken: Ist es das Erste oder Letzte einer Serie? Ist damit eine besondere Geschichte verbunden, hat es Leben gerettet, oder war es in einen Mordfall verwickelt? Wer hat es besessen, vielleicht ein Alltagsheld? Haben es Künstler bearbeitet? Hat es trotz Alters nur 200 gefahrene Meter? Wurden Teile ausgetauscht, wie viel Stück existieren heute noch? Da gibt es viele Abstufungen, mit denen sich auf einer Versteigerungsplattform in Summe ein hübscher Verkaufspreis erzielen ließe.

STANDARD: Was sagen Sie Jungunternehmern, die sich auf keine bedeutsame Historie berufen können?

Pricken: Sie müssen das Beste geben, das weltweit denkbar ist. So vieles ist heute austauschbar. Auch bei vielen kleinen Manufakturen muss ich mich fragen, wo denn hier das Unterscheidungsmerkmal jenseits des Handgemachten ist.

STANDARD: Auf jeden Fall sollte etwas wohl knapp sein.

Pricken: Knappheit ist der stärkste Effekt, der die Preise nach oben treibt. Es ist ein Parameter, der kulturübergreifend funktioniert.

STANDARD: Warum umgeben sich Menschen gern mit einzigartigen Dingen? Ist da der Wunsch, die eigene Unvollkommenheit zu überdecken?

Pricken: Es ist eine zutiefst menschliche Sehnsucht. Wir alle wollen uns mehr oder minder mit Schönem umgeben. Ich schau mir lieber Blumenwiesen als Müllhaufen an, sitze lieber auf Designerstühlen als auf Bierkisten. Ab dem Moment, in dem ich mich mit etwas umgebe, das den Spirit des Wertvollen hat, strahlt es auf mich ab. Es sagt, wer ich bin, wofür ich stehe, gegen wen ich mich abgrenze, oder schafft Gruppenzugehörigkeit. Es ist wie eine Insignie. Wir brauchen das. Sobald eine gewisse Zahl an Menschen aufeinandertrifft, kommt es zudem immer zu Hierarchien. Ich kann nicht durchschnittlich sein, habe als Zweiter, Dritter keine Chance. Es geht immer um Rekorde.

STANDARD: Was sagt es über mich aus, wenn ich eine Rolex trage, einen Aston Martin One-77 fahre und Wein um ein paar Tausend Euro trinke, außer dass ich Geld wie Heu habe?

Pricken: Nicht alles, was teuer ist, ist wertvoll. Der Preis kann aber zur Eintrittsschwelle in gewisse Kreise werden. Zu Orden, die zeigen, was ich erreicht habe. Die Internationalisierung vieler Luxusmarken ist deswegen so wichtig, weil viele Russen etwa Wert darauf legen, dass diese Marken auch in Japan, Italien und in den USA erkannt werden. Ohne generalisieren zu wollen: Es gibt den Unterschied zwischen altem und neuem Geld: die Tendenz in Europa, Luxus zu verbergen, versus den Wunsch in Schwellenländern, zu zeigen, dass man es innerhalb einer Generation geschafft hat, ein Riesenvermögen anzuhäufen. Da braucht es dann oft Blimblim und extragroße Logos.

STANDARD: In Zeiten der Political Correctness ist eher Understatement angebracht. Da würden sich goldene Nägel in den Wänden, die keiner sieht, anbieten oder Ringe mit versteckten Diamanten.

Pricken: Es gibt die Geschichte vom Mann, der seine Uhr zum Reparieren bringt. Der Uhrmacher fragt nach dem Öffnen, warum sein Name auf der Innenseite der Unterplatte eingraviert sei: Wozu, wenn es keiner sieht? Der Mann antwortete: Weil Gott es sieht. Oder Aston Martin, die eine Fabrik für 77 Autos errichteten und sie danach wieder abbauten. Sie verwendeten Material bester Oberflächenbearbeitung in Bereichen, die nicht einmal Mechaniker berühren. Da ist der Wunsch, etwas in irrationale Höhen zu treiben und absolute Exzellenz zu erreichen. Das hat nichts mit Blimblim zu tun. Kenner jedoch und gewisse Kreise erkennen die Zeichen. Es ist wie in einer Art Club.

STANDARD: Worin genau liegt hier der Kick?

Pricken: Es geht um Einzigartigkeit. Es gibt einen gewissen Teil der Bevölkerung, den das anspricht. Es liegt etwa im Wesen von Sammlern. Oder schauen Sie, wie freakig Männer sind, wenn's ums Mountainbiken geht: Die wiegen am Wochenende ihre Räder ab, um zu vergleichen, wer das leichteste hat. Da geht es nicht nur um Bereiche jenseits der 100.000 Euro. Diese Liebe kann auch in speziellen Korkenöffnern gipfeln, die das Siebenfache herkömmlicher kosten, aber eine besondere Mechanik haben, garantieren, 100 Jahre alt zu werden. Auch das ist Werthaltigkeit.

STANDARD: Was sollte dies Unternehmer lehren?

Pricken: Es geht um Alleinstellung, um Kopiersicherheit. Das gehört in die Produktentwicklung hineingedacht: durch Muster, Patentschutz, einzigartige Technologien, handwerkliche Technik, Geheimrezepte. Und es gibt 100 Ideen für kreative Wartelisten. Ich kann sie Club nennen, Frauen und Männer trennen, die Wartezeit mit Programm füllen, die Leute etwas tun lassen, damit sie in der Liste nach oben rutschen, oder sie jeden Schritt der Produktentwicklung beobachten lassen.

STANDARD: Wobei Letzteres viele wertvolle Marken verlogen aussehen lässt. Designer oder Diskonter - sie alle lassen in Asiens Billigfabriken nähen.

Pricken: Stars entwerfen die neuesten Trends, in Italien und Frankreich nähen die besten Näherinnen die besten Stoffe, über aufwändige Shows berichten Magazine weltweit: Das ist die Spitze der Pyramide. Sie kostet Unmengen - verdienen lässt sich damit nichts. Im Mittelfeld geht es um kleine Stückzahlen. Nichts für durchschnittliche Bürger, aber kostendeckend. Das große Geld machen Luxuskonzerne mit dem Sockel der Pyramide: mit Brillen, Gürtel, Parfums, Schuhen, Hüten mit Logos drauf. Hier wird teils billigst produziert, auf denselben Maschinen wie alles andere - aber hier sind die größten denkbaren Gewinnmargen drinnen. Ist etwas millionenfach erhältlich ist, ist es per se kein Luxus, aber es trägt diese Logos ...

STANDARD: Womit wir wieder bei den Orden wären.

Pricken: Es gibt das Phänomen der Berührungsreliquien. Objekte, die nicht unmittelbar von Heiligen stammen, wie Zähne oder Haarlocken, sondern über Umwege mit ihnen in Berührung kamen. Aber es genügt, damit sich das Heilige überträgt. Auch über kostengünstige Dinge erhalte ich so die Möglichkeit, mich etwa mit großen Marken zu umgeben. Wir alle lieben es, über Umwege mit Bedeutsamem in Berührung zu kommen und im Lichte toller Objekte, Menschen und Ereignisse zu glänzen. Das ist etwas zutiefst Menschliches ...

STANDARD: ... und hat viel mit Religion zu tun?

Pricken: Es hat mit Menschsein zu tun. Es sagt viel darüber aus, wie wir ticken. Wir brauchen diese Insignien, selbst wenn es sich um eine Holzkiste handelt, auf die der Abt eines Klosters sitzt.

STANDARD: Apropos Holzkiste: Mit dem Alter und Wissen um die Endlichkeit sinkt die Konsumlust. Sind die Europäer luxusmüde geworden?

Pricken: Luxus bedeutet nicht zwingend Geld. Das Wertvollste, das Menschen bereit sind zu geben, ist Zeit. Lege ich in ein Objekt ein Stück meines Lebens hinein, steckt darin realer Wert. Es geht um Sterben und Nichtsterben. Leben wir unendlich, verliert alles seinen Wert. Letztlich entsteht Wert erst durch unsere Sterblichkeit.

STANDARD: Zeit ist also ein wichtiger Wertspeicher?

Pricken: Ja. Aber sieht man sich an, wie sich die Wirtschaft entwickelt: alles schneller, kürzer, einfacher, jederzeit verfügbar ... Die Digitalisierung ist eigentlich ein Horror: Alles, was sich digitalisieren lässt - Filme, Bücher, Bilder und Musik -, geht den Weg in den Centbereich. Es verliert komplett an Wert, an monetärem wie subjektivem. (Verena Kainrath, Portfolio, DER STANDARD, 2014/2015)