"Nee, hat keinen Haken", sagt der Berliner Michael Bohmeyer: Er will Menschen mit seinem bedingungslosen Grundeinkommen helfen, sich selbst zu verwirklichen.

Illustration: David Mathews

"Steht der Livestream? Was ist mit dem Ton? Macht hinne, wir müssen anfangen!" Es herrscht ungewohnte Hektik im "Trude Ruth & Goldammer", einer urigen Kneipe in Berlin-Neukölln. Auf Möbeln aus den Siebzigerjahren chillen normalerweise Gäste, die nicht so viel Geld haben. Braucht man hier auch nicht. 1,50 Euro für eine Flasche Bier, mit zwei Euro ist man beim Rotkäppchensekt dabei.

Doch an diesem Abend kommt das (vergleichsweise) große Geld ins Lokal. Auf dem Programm steht die Verlosung eines "bedingungslosen Grundeinkommens", sie wird live im Internet übertragen. Jeden Monat 1000 Euro, zwölf Monate lang. Und man muss nichts dafür tun. Es klingt wie ein Märchen. "Nee, hat keinen Haken", sagt Michael Bohmeyer und grinst. Er kennt die misstrauischen Blicke, er ahnt, was sich im Kopf seines Gegenübers abspielt. Geld einfach so für nichts? Da muss es doch einen Pferdefuß geben. "Ich will einfach nicht abwarten, ob die Politik vielleicht mal etwas tut. Ich nehm es selber in die Hand und vergebe Grundeinkommen", sagt er zum STANDARD. 30 Jahre ist der Berliner alt, für Geld muss er nicht mehr arbeiten, da er an zwei Start-ups beteiligt ist, die ihm ein bescheidendes, aber regelmäßiges Einkommen sichern.

Ziele und Träume umsetzen

Neu ist die Idee mit dem bedingungslosen Grundeinkommen ja nicht. Die Grünen haben es in Deutschland und Österreich diskutiert, die Linke, die Piraten und das Liberale Forum auch. Befürworter meinen, jeder Mensch könne sich gemäß seinen Fähigkeiten entfalten und somit auch für die Gesellschaft nützlich sein, wenn er vom Staat finanzielle Zuwendungen erhält, für die keine Gegenleistung fällig wird. Auch Bohmeyer glaubt an das Gute und Kreative im Menschen, an sein Potenzial, und ist überzeugt: Bekommt jemand Grundeinkommen, dann versumpft der nicht mit Chips und Bier vor dem Fernseher, sondern beginnt, seine Ziele und Träume umzusetzen.

Zunächst sammelte der Vater einer kleinen Tochter das Geld per Crowdfunding ein. Warum mehr als 8000 Menschen ihn bis jetzt schon unterstützt haben, steht auf mein-grundeinkommen.de. "Der Mensch beherrscht die Arbeit – und nicht umgekehrt", schreibt etwa Jonas, der zwölf Euro gab. "Es ist für mich die Basis für eine gerechtere Gesellschaft und ein erfülltes Leben", meint Friederike und steuerte 33 Euro bei.

Mittlerweile hat Bohmeyer die "Crowdbar" erfunden. Wer diese vor dem Online-Einkauf installiert, sieht bei einem der 450 Partnerunternehmen einen Button. Wird dieser angeklickt, wissen die Firmen, der Kunde kommt von Bohmeyer. Die Provision für die Empfehlung fließt an ihn zurück und wird für das Grundeinkommen verwendet.

Vom Callcenter zum Erzieher

Vier Grundeinkommen sind schon verlost worden, über die Gewinner ist wenig bekannt, denn Bohmeyer will sie aus dem Medienrummel raushalten. Einer schreibt seine Dissertation, ein Zweiter will "bewusster leben", eine junge Mutter ihren Kindern etwas bieten. Und Christoph ...

Christoph spricht selbst. Er ist per Skype in die Kneipe zugeschaltet und berichtet, dass er sich "supergut" fühlt. Die Anwesenden klatschen begeistert, erst recht, als der junge Mann erzählt, er sei jetzt "ruhiger und gelassener geworden", habe "keine Ängste mehr". Den schrecklichen Job im Callcenter hat er gekündigt, demnächst fängt er seine Ausbildung zum Erzieher an.

Und dann ist es so weit: Das fünfte Einkommen wird per Los ermittelt. Abwechselnd drehen Gäste am Glücksrad, und schließlich steht fest, dass die Nummer 44552 sich im nächsten Jahr auf 12.000 Euro freuen kann. Es ist "Olgas Kind". Seine Mutter möchte mit dem Geld "versuchen, meine gewonnenen Ressourcen sinnvoll einzusetzen". Spontan wird eine Hymne auf "Olgas Kind" angestimmt. Bohmeyer lächelt zufrieden.

Ein bisschen, bis zur nächsten Verlosung im Dezember, kann er jetzt verschnaufen. Mehr als 30.000 Menschen sind auf seiner Website registriert. Sie würden mit dem Geld mehr Bioprodukte kaufen, der Mutter das Altersheim ersparen, sich auf ihre Musik konzentrieren, den Kampf gegen Mukoviszidose fördern, ohne Ängste leben oder ein Studium anfangen. Es gibt so viele Wünsche wie Registrierte. Alle kann Bohmeyer nicht glücklich machen. Aber er hat ein Ziel: "Ich will zumindest 100 Grundeinkommen vergeben." (Birgit Baumann aus Berlin, Portfolio, DER STANDARD, 2014)