Die Historikerin Margarethe Ruff hat zusammen mit Werner Bundschuh die Schicksale osteuropäischer Zwangsarbeiter in Vorarlberg recherchiert.

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Bregenz - Margarethe Ruff, Historikerin und Volkskundlerin, befasst sich seit zwei Jahrzehnten mit der Thematik Zwangsarbeit. Aus einer zufälligen Begegnung, Ruff kam bei einer Zugfahrt mit einer früheren Zwangsarbeiterin ins Gespräch, wurde eine Lebensaufgabe.

Die Historikerin beschäftigt sich nicht nur in ihren theoretischen Arbeiten mit diesem bis in die 1990er-Jahre wenig erforschten Gebiet. Sie organisierte drei Spendenaktionen, überbrachte die Gelder persönlich in Rowenki (Ukraine) und motivierte Vorarlberger Institutionen, Besuche früherer Zwangsarbeiter und -arbeiterinnen zu finanzieren. "So entstanden viele freundschaftliche Kontakte zwischen den früheren Arbeitern und ihren Arbeitgebern."

Nun veröffentlichte Ruff mit "Minderjährige Gefangene des Faschismus" unter Mitarbeit von Werner Bundschuh ein weiteres Buch über das Schicksal junger Menschen aus der Ukraine und Polen, die von den Nazis zur Arbeit in Vorarlberg gezwungen wurden. Es wird wohl das letzte Buch mit Zeitzeugen-Interviews sein. Denn nur wenige der heute sehr betagten Menschen sind noch am Leben.

Menschen zweiter Klasse

Was hat sich verändert seit ihren ersten Recherchen vor 20 Jahren? "Es ist Vertrauen entstanden. Heute reden die Leute beispielsweise viel offener über die Situation nach ihrer Heimkehr." Die meisten hatten Verfolgung und Diskriminierung in der Sowjetunion zu ertragen. Zwangsarbeiter galten als Verräter. Dass sie als junge Menschen von den Deutschen verschleppt wurden, wollte man nicht sehen.

Frauen, die aus Nazi-Deutschland zurückkamen, wurden als Huren beschimpft, ihre Kinder als "Deutsche". Das Schweigen über ihr Leben als "Menschen zweiter Klasse" änderte sich erst, als aus Österreich Entschädigungszahlungen kamen, sagt Ruff.

Suche nach Müttern und Vätern

Frühere Zwangsarbeiterinnen sprechen in den Interviews offen über sexuelle Gewalt, die sie in Vorarlberg erfahren mussten. Ein weiteres düsteres Kapitel: Manchen Frauen wurden ihre Kinder gleich nach der Geburt weggenommen. Wieder andere ließen ihr Kind aus Not in Vorarlberg zurück.

Immer wieder ist Ruff mit Menschen konfrontiert, die ihre Mutter, ihren Vater suchen. Die Suche nach Vorarlberger Vätern scheitere am Datenschutz, sagt Ruff resigniert. Jene nach Müttern im Osten sei in Einzelfällen erfolgreich. Erst vor wenigen Tagen erfuhr eine Vorarlbergerin über den internationalen Suchdienst, dass ihre leibliche Mutter in der Ukraine gefunden wurde.

Illwerke arbeiten Geschichte auf

Geändert hat sich auch die Haltung des offiziellen Vorarlberg. Gut die Hälfte der 15.000 bis 20.000 nach Vorarlberg gebrachten Zwangsarbeiter mussten auf Kraftwerksbaustellen der Illwerke arbeiten. Ruff: "Von Zwangsarbeit wollten die Illwerke lange nichts wissen." Das habe sich grundlegend geändert. Der Historiker Michael Kasper schreibt auf der Website des Energiekonzerns zum Kapitel NS-Zwangsarbeit: "Durch ihren unfreiwilligen Beitrag haben die damaligen Arbeitskräfte zweifellos am heutigen Wert des Unternehmens mitgeschaffen."

Die Illwerke finanzieren gemeinsam mit dem Land Vorarlberg ein mehrstufiges Projekt, das auch Unterrichtsmaterialien zum Thema Zwangsarbeit umfasst. Über die Website von erinnern.at sind Unterrichtskonzepte und -vorschläge für Unter- und Oberstufe erhältlich. In Videos beschreiben Zeitzeuginnen und Zeitzeugen ihre Lebensgeschichte und machen damit ein düsteres Kapitel der Vorarlberger Geschichte anschaulich. (Jutta Berger, derStandard.at, 27.11.2014)