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Ein Blick in die genetische Veranlagungen eines Menschen mag für Laien verwirrend sein - Experten können daraus zahlreiche Informationen filtern.

Foto: Reuters

Wien - Ein menschliches Erbgut, in Fachkreisen Genom genannt, besteht aus drei Milliarden Bausteinen. Für den Laien ist das auf Papier ausgedruckt eine ziemlich langweilige Ansammlung von Buchstaben, "möglicherweise eine ideale Einschlaflektüre", scherzte kürzlich der Systembiologe Giulio Superti-Furga. Experten können aber daraus mit technischen Hilfsmitteln sehr persönliche Informationen über den Menschen ableiten, zu dem dieses Genom gehört: Herkunft, Abstammung und potenzielle Gesundheitsrisiken.

Superti-Furga, Leiter des Zentrums für Molekulare Medizin (CeMM) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW), ist einer der Initiatoren des Wissenschafts- und Bildungsprojekts "Genom Austria". Gemeinsam mit der Med-Uni Wien will man die Öffentlichkeit über die Technik der Genomsequenzierung aufklären und ihr auch die Angst davor nehmen. Med-Uni-Rektor Wolfgang Schütz meinte bei der Präsentation am Dienstag, dass Genomforschung oft als Teufelswerk bezeichnet werde, man müsse sie aber als Chance für eine personalisierte Medizin sehen. Es sei aber noch mehr als das, sagte Superti-Furga. Man müsse die Genomforschung auch philosophisch betrachten: "Es ist eine Möglichkeit, mehr über uns zu erfahren. Denn: Wer wir sind, das geht uns alle etwas an."

Ein wichtiger Bestandteil des Genom Austria-Projekts: Bis Ende des kommenden Jahres sollen die Genomdaten von 20 Freiwilligen ins Internet auf genomaustria.at gestellt werden - begleitend dazu gibt es öffentliche Veranstaltungen und Diskussionen, die über die Aktion informieren. Superti-Furga war der erste Teilnehmer an diesem Citizen-Science-Projekt.

Bei der Präsentation witzelte er bereits über sein erhöhtes Risiko zur Fettleibigkeit. Helga Nowotny, Wissenschaftsforscherin, war die zweite Teilnehmerin: "Mein persönliches Motiv ist die Neugier, das biologische Selbst kennenzulernen." Nowotny wünscht sich mehr öffentliche Diskussionen über neue Technologien - und verwies auf die derzeitige Debatte über das neue Fortpflanzungsmedizingesetz. Es sei seltsam, wenn man die mangelnde Diskussion darüber beklage. Die österreichische Öffentlichkeit hätte mehr als zwei Jahrzehnte dazu Zeit gehabt - und sie vergeudet.

Pioniere gesucht

Die Diskussion will man jetzt initiieren. Wer sich als Genompionier zur Verfügung stellen will, müsse sich nur klar sein, dass diese Daten dann auch öffentlich sind. Man müsse auch bedenken, dass eine Genomsequenzierung auch Risiken in sich birgt. Man könnte auch unerfreuliche Nachrichten über Gesundheitsrisiken erfahren. "Wobei wir mit Genom Austria sicher keinen diagnostischen Ansatz verfolgen", sagte Superti-Furga.

Es könnte zu unerwarteten Ergebnissen bezüglich der Elternschaft, der Herkunft und der Abstammung kommen. Und letztlich könne man die Möglichkeit einer Diskriminierung aufgrund genetischer Befunde, die zwar laut EU-Grundrechtecharta verboten ist, auch nicht ausschließen. Er sei aber guter Dinge, dass die "demokratische Gesellschaft selbstbestimmt mit dem Wissen über die Erbanlagen umgehen könne." Die Technik sei zu wichtig, um sie sich einfach überstülpen zu lassen. "Es geht darum, dass wir darüber reden. Es ist wie ein Spiegel, den wir uns vor die Nase halten."

Wer sich für das Projekt interessiert, muss einen Verständnistest absolvieren und wird dann vorregistriert. Wer zur vollständigen Sequenzierung eingeladen wird, wird mehrfach über die Risiken aufgeklärt, auch mit unangenehmen Daten konfrontiert werden zu können - und kann jederzeit wieder aussteigen.

Von einem Erfolg darf man ausgehen: Der Genetiker George Church hat schon 2005 das Personal Genome Project in Harvard begründet - und betont seither stets die Wichtigkeit frei verfügbarer Genomdaten. Annähernd 3500 Testpersonen erklärten sich bisher bereit, daran teilzunehmen. Später wurden derartige Initiativen in Kanada und in Großbritannien gestartet. Österreich is also das vierte Land und hätte damit eine Vorreiterrolle, wie Superti-Furga betonte.

Das Genom-Austria-Team besteht aus Experten des Zentrums für Molekulare Medizin und der Med-Uni Wien. Dazu gibt es einen Steering Board mit Nowotny, Superti-Furga, dem Humangenetiker Michael Speicher, Christiane Druml, der Vorsitzenden der Bioethikkommission des Bundeskanzleramts, und dem Genetiker und Buchautor Markus Hengstschläger. Margit Fischer, die Frau des Bundespräsidenten, hat den Ehrenschutz übernommen und den Initiatoren geschrieben: "Genetik als eine der Leitwissenschaften des 21. Jahrhunderts muss allen Bürgerinnen und Bürgern offen stehen und verständlich sein." Superti-Furga ergänzte: "Das Gegenteil wäre schrecklich." (Peter Illetschko, DER STANDARD, 26.11.2014)