Restaurieren gegen den Zerfall der Zeit: Papier, das zwischen 1830 und 1950 hergestellt wurde, trägt einen Selbstzerstörungsmechanismus in sich. Viele Originaldokumente aus den beiden Weltkriegen sind aus diesem Grund bereits für immer verlorengegangen.

Foto: Donau-Universität Krems

Patricia Engel arbeitet mit Hightech gegen Säuren.

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Krems - Sie zerfallen in den Händen zu Staub: Briefe, Verträge, handschriftliche Notizen - beinahe jedes Dokument, das zwischen 1830 und 1950 erstellt wurde, ist in Gefahr, warnt die Restauratorin Patricia Engel von der Donau-Universität in Krems. Denn für Schriftstücke aus dieser Zeit wurde fast ausschließlich Holzschliffpapier verwendet, eine Papierart mit eingebautem Selbstzerstörungsmechanismus.

Für seine Herstellung werden Holzstücke mit großen Schleifmaschinen traktiert, die es quer zur Faserrichtung zerkleinern. Alle Bestandteile des Holzes werden anschließend in das Papier eingearbeitet, unter ihnen auch solche, die Säuren bilden. "Zusätzlich wurden damals zum Binden von Büchern Leime verwendet, die weitere Säuren enthielten", ergänzt Engel. "Diese Säuren reagieren im Laufe der Zeit mit den Papierfasern und zerstören sie."

Um dem Zerfall Einhalt zu gebieten, werden bereits in verschiedenen Massenverfahren Holzschliffdokumente restauriert, doch jedes dieser Verfahren habe Nachteile, bemängelt Engel. "Man folgt dabei der Philosophie, die Masse zu retten und ein paar Verluste in Kauf zu nehmen." Die meisten dieser Verfahren basieren auf wässrigen oder organischen Lösungsmitteln, die Säuren und Schmutz aus dem Papier waschen. Dabei wird jedoch auch die Schrift vom Papier gelöst.

"Wir arbeiten nun an einem Verfahren, das keine Nachteile mehr haben wird", verspricht die Restauratorin. Dabei sollen mithilfe von Nanopartikeln die Holzschliffpapiere nicht nur von Säuren befreit, sondern gleichzeitig auch elastischer und stabiler gemacht und durch einen chemischen Puffer sogar vor zukünftigen Säurebildungen geschützt werden.

Wie genau diese Nanopartikel funktionieren, darüber dürfe sie sich jedoch nicht äußern, entschuldigt sich Engel. Sie verweist auf noch laufende Patentanträge, die sie nicht gefährden möchte. Dass das Verfahren aber in den nächsten zwei, drei Jahren bereits Anwendung finden wird, dessen ist sich die Restauratorin sicher. Als Kooperationspartner fungiert unter anderem die Arbeitsgruppe rund um Volker Ribitsch vom Institut für Chemie der Universität Graz. Ribitsch forscht seit Jahrzehnten an Hightech-Materialien aus Holz- und Pflanzenfasern, und er bringe seine Berufserfahrung in das Projekt ein, wie Engel betont.

Noch werden keine Originale mit dem Verfahren behandelt, das seit 2012 laufende Forschungsprojekt befindet sich noch in der Testphase. Bis zum Abschluss des Projekts im nächsten Jänner hofft die Restauratorin, es auch an echten Holzschliffdokumenten testen zu können.

Reversible Restauration

Denn wie bei jeder Restauration ist auch bei Dokumenten größte Vorsicht geboten. Während bis in die 1960er-Jahre noch recht ungehemmt geputzt, verändert und übermalt wurde, folgt man heute peniblen Richtlinien wie der Charta von Venedig. Jede Restaurationsarbeit muss demnach reversibel sein. Es dürfen keinerlei Veränderungen sichtbar sein, das Dokument darf sich nicht anders anfühlen, nicht anders riechen. Einzig mit chemischen Methoden und instrumenteller Analytik ist ein Nachweis der Restauration zulässig. Ob die Nanopartikel von Patricia Engel diese strengen Vorgaben auch erfüllen, bleibt abzuwarten.

Dabei drängt die Zeit: Viele Dokumente von unschätzbarem Wert sind bereits für immer verlorengegangen. Darunter auch Originale mit besonders großem historischem Wert wie Befehlsausdrucke, Briefe von der Front oder Tagebucheinträge aus den beiden Weltkriegen.

Beschränkte Haltbarkeit

Wie lange sich solche Aufzeichnungen halten können, sei generell schwierig zu sagen, sagt Engel. "Das hängt vor allem von der Lagerung ab. Wenn man sie konstant kühl und lichtgeschützt gehalten hat, können sie heute noch in sehr gutem Zustand sein. Doch auch die Art der verwendeten Tinte hat großen Einfluss auf die Haltbarkeit." Während Druckerfarbe chemisch kaum mit dem Papier reagiert, bringt Eisengallustinte, die noch bis in die 1960er-Jahre in Füllfedern verwendet wurde, zusätzliche Säuren auf das Papier.

Dabei war das Holzschliffpapier zu Beginn des 19. Jahrhunderts eine revolutionäre Erfindung: Inspiriert von Wespennestern, ersann es der deutsche Erfinder Friedrich Gottlob Keller, um einen Ersatz für die bis dahin übliche Papierherstellung aus Textillumpen zu finden. Der steigende Bedarf an Papier ließ den Rohstoff knapp werden - erst durch Kellers Verfahren wurde Papier zu einem alltäglichen Gebrauchsgegenstand, das sich in großindustriellem Maßstab herstellen ließ.

So konnten erschwingliche Tageszeitungen gedruckt werden, Papier und Karton setzten sich als Verpackungsmaterialien durch. Der hohe Anteil des Holzstoffes Lignin lässt sie jedoch schnell vergilben - ein Phänomen, das sich noch immer beobachten lässt. Etwa bei Zeitungen: Bis heute werden Holzschliffpapiere wegen ihrer niedrigen Kosten zum Zeitungsdruck verwendet. (Wolfgang Däuble, DER STANDARD, 26.11.2014)