Wien - Wenn Influenza bei schwerem Krankheitsverlauf zum Tod führt, dann liegt dies nicht nur an Herz-Kreislauf-Zwischenfällen, sondern vor allem an bakteriellen Lungenentzündungen, die auf die Virusinfektion folgen. Rund 500.000 Menschen sterben laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) jährlich an den Folgen der saisonalen Virusgrippe-Epidemien. Verantwortlich dafür sind sogenannte bakterielle Superinfektionen. Speziell gefährdet sind dabei betagte Menschen und Kleinkinder.
Warum Influenza-Kranke leichter an Pneumonien erkranken, war bisher nicht bekannt. Forscher am Wiener CeMM haben jetzt einen infrage kommenden Mechanismus identifiziert. Die Gruppe von Andreas Bergthaler vom Forschungszentrum für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften beim Wiener AKH arbeitete mit Experten der MedUni Wien zusammen und berichtet über ihre Ergebnisse in "Nature Immunology".
Anfälligkeit steigt
"Bis jetzt hat man diese Abläufe nicht wirklich verstanden. Klar geworden ist in den vergangenen Jahren jedenfalls, dass das Influenza-Virus selbst in den meisten Fällen selbst nicht dafür verantwortlich ist", sagte Bergthaler. Offenbar kommt es im Rahmen einer Influenza-Infektion zu einer Dämpfung der Abwehrkraft des Erkrankten. Damit haben Pneumokokken und andere Bakterien leichtes Spiel. Im Rahmen der Influenza-Pandemie am Ende des Ersten Weltkrieges gab es dadurch Dutzende Millionen Todesopfer.
Die Forschungen in Wien und von Schweizer und US-Co-Autoren zeigten laut Bergthaler folgendes: "Wir haben einen molekularen Mechanismus im Abwehrsystem der Zellen entdeckt, der darauf abzielt, unnötige und überschießende Entzündungsreaktionen bei einer Virusinfektion zu verhindern, um den Organismus nicht zusätzlich zu schädigen. Gleichzeitig führt diese Regulation aber auch dazu, dass der Körper in diesem Zeitraum anfälliger für Bakterien ist."
Der Mechanismus
Bei dem ursächlich beteiligten Protein handelt es sich um das Enzym Setdb2. Diese sogenannte Methyltransferase wird im Rahmen der Virusinfluenza-Erkrankung vermehrt gebildet. Sie reduziert daraufhin durch sogenannte Methylierung das Ablesen von DNA, die für die Bildung des Lock-Proteins Cxcl1 kodiert. Dieses Cxcl1 lässt bestimmte Immunzellen - neutrophile Granulozyten - in das Gewebe einwandern, das von der Infektion betroffen ist, zum Beispiel in das Lungengewebe. Durch die Aktivierung von Setdb2 wird die Entzündungsreaktion infolge der Influenza gehemmt, was einen überschießenden und zusätzlich schädigenden Effekt verhindern soll. Doch die Kehrseite der Medaille ist eben die größere Anfälligkeit für Bakterien.
Laufende und zukünftige Forschungen zielen nun darauf ab, das komplexe Zusammenspiel zwischen Virus, Setdb2, Bakterium und Immunsystem weiter zu durchleuchten. Das könnte in fernerer Zukunft neue Therapiemöglichkeiten eröffnen, um das Immunsystem von Grippe-Patienten und deren antibakterielle Widerstandskraft zu stärken. Am besten wäre es allerdings, sich von Anbeginn vor der Influenza zu schützen. Doch in Österreich ließen sich im vergangenen Jahr nur sieben Prozent der Menschen dagegen impfen. In keinem westlichen Industriestaat ist die Durchimpfungsrate derart niedrig. (APA/red, derStandard.at, 25. 11. 2014)