Wien - Seit dem Sommer können Praktikanten auf der von der Gewerkschaft eingerichteten Plattform watchlist-praktikum.at schwarze Schafe unter den Firmen melden. Eine erste Zwischenbilanz der GPA zeigt, dass es nicht nur in "allbekannten" Bereichen wie der Medien- oder Kreativbranche Probleme gibt, sondern quer durch alle Wirtschaftsbereiche, wie Veronika Kronberger und Karl Proyer von der Gewerkschaft der Privatangestellten am Dienstag erklärten.
Über 30.000-mal wurde die Plattform seit Juli aufgerufen, mehr als 100 konkrete Missstände wurden gemeldet, schilderte Kronberger, die in der GPA Vorsitzende der "Plattform Generation Praktikum" ist. In 60 Fällen prüft bereits die zuständige Gebietskrankenkasse, die eine unterlassene Anmeldung zur Sozialversicherung oder auch Unterentlohnung feststellen kann. "Die Problematik ist noch viel größer, als wir es befürchtet haben."
Die Detailauswertung zeigt, dass es keineswegs nur um kurzfristige Praktika geht. In mehr als der Hälfte aller Fälle sind die Praktikanten mindestens vier Monate in einem Unternehmen beschäftigt.
Kronberger schilderte einige aus ihrer Sicht besonders drastischen Beispiele. So würden im Bereich der klinischen Psychologie Studenten für "vollwertige Therapien" eingesetzt, ohne die dafür nötige Ausbildung abgeschlossen zu haben. Auch in Gesundheits- und Sozialberufen würden Studenten häufig als "normale" Arbeitskräfte eingesetzt.
Im Handel wiederum hätten Praktika oft keinerlei Ausbildungscharakter, die jungen Arbeitskräfte würden zum Regalschlichten oder auch im Verkauf eingesetzt. In der Gastronomie sei die Infrastruktur zum Teil katastrophal, beispielsweise gebe es oft kein fließendes Wasser in den Unterkünften.
Proyer sprach von einem "Praktikumsunwesen". Die Arbeitgeber würden ganz gezielt die "Grauzone" ausreizen. Als Beispiel nannte er ein aktuelles Inserat des Gemeindebunds, der für ein Volontariat in der Online-Redaktion von kommunalnet.at eine Aufwandsentschädigung von 300 Euro (für 30 Wochenstunden) bietet. "Das ist jenseits der Rechtslage", so Proyer.
Wobei aus seiner Sicht der rechtliche Rahmen eigentlich relativ klar ist: "Wer arbeitet, soll eine ordentliche Bezahlung bekommen." Zwei Drittel aller Praktika seien de facto normale Dienstverhältnisse, berichtet er. 38 Prozent der auf Watchlist gemeldeten Firmen bezahlten allerdings gar nichts, wie das folgende Chart zeigt:
Um den Missbrauch einzudämmen, fordert die GPA eine klare Definition von Pflichtpraktika in den Lehrplänen der Schulen und Hochschulen. Wenn eine berufliche Ausbildung oder ein Hochschulstudium abgeschlossen wurde, brauche es überhaupt ein Praktika-Verbot.
In jenen Branchen, die noch keine kollektivvertragliche Regelung für Praktikanten haben, müsse eine "branchen- oder ortsübliche Bezahlung" zur Anwendung kommen. Und schließlich drängt Proyer auf eine Beweislastumkehr. Der Arbeitsgeber müsse also nachweisen, dass es sich um ein Ausbildungsverhältnis handle, ansonsten sei immer von einem befristeten Arbeitsverhältnis auszugehen.
Wirtschaft skeptisch
Es brauche jedenfalls mehr Druck auf die Arbeitgeber. Zu arbeitsrechtlichen Prozessen kommt es nämlich in aller Regel nicht, weil die Betroffenen Angst hätten, keinen anderen Job zu finden. Österreichweit läuft derzeit nur ein "halbes Dutzend" an Verfahren, sagte Kronberger. "Wir haben eine Drucksituation, die die Arbeitgeber ausnutzen."
In der Wirtschaftskammer lehnt man eine Beweislastumkehr klar ab, wie Sozialexperte Rolf Gleissner auf STANDARD-Anfrage erklärte. "Unser Rechtssystem hat den Grundsatz, dass, wer einen Anspruch geltend macht, ihn auch beweisen muss. Das Risiko von Fehlern bei Anmeldung, Lohnverrechnung, Arbeitnehmerschutz etc. trägt ohnehin das Unternehmen", so Gleissner.
"Verbot könnte Betroffenen mehr schaden als nutzen"
Auch von einem Praktikaverbot für Hochschulabsolventen hält er nichts. "Das könnte den Betroffenen mehr schaden als nutzen." Wer beispielsweise Soziologie studiert habe, findet vielleicht keinen Job in seinem Kerngebiet. "Durch Praktika kann er aber in verwandten Bereichen wie Medien oder Werbung Fuß fassen."
Entgeltregelungen seien grundsätzlich Sache der KV-Parteien. Offen zeigt sich Gleissner bei der Frage, gewisse Vorgaben für Pflichtpraktika in den Lehrplänen einzuführen. "Die Latte darf aber nicht so hoch gelegt werden, dass Klein- und Mittelbetriebe keine Plätze anbieten können und Studenten dann keine Plätze mehr finden." (Michael Bauer, Günther Oswald, derStandard.at, 25.11.2014)