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Wer zwei Staaten für zwei Völker wolle, müsse auch eine "jüdische Nationalheimat" anerkennen, meint Premier Netanjahu (li.) - auch für liberale Regierungsmitglieder eine Provokation.

Foto: EPA / Jim Hollander

Die "stürmischste Debatte seit der Bildung dieser Koalition" soll es am Sonntag im israelischen Ministerrat gegeben haben, und manche schätzen, dass der Streit um das "Nationalitätsgesetz" sogar zu Neuwahlen führen könnte. Premier Benjamin Netanjahu möchte darin festschreiben, dass Israel "der Nationalstaat des jüdischen Volkes" und zugleich ein "demokratischer Staat" ist.

Das ist zwar für die meisten Israelis und alle Minister selbstverständlich. Doch empörte Kritiker, auch in Netanjahus eigenem Kabinett, meinen, dass die vorgelegten Gesetzesentwürfe den demokratischen Charakter des Staates nicht ausreichend betonen, was zu einer Benachteiligung der arabischen Minderheit führen könnte.

Dass Israel ein "jüdischer und demokratischer Staat" sei und bleiben müsse - das wiederholen israelische Politiker bei jeder Gelegenheit, auch als Argument gegen gelegentliche Überlegungen von rechts, das Westjordanland mit seiner palästinensischen Bevölkerung zu annektieren.

Netanjahu hält es jetzt für nötig, das ausdrücklich in einem Grundgesetz zu verankern. "Israel ist ein jüdischer und demokratischer Staat", sagte er beim Ministerrat. "Manche wollen, dass das Demokratische stärker sein soll als das Jüdische, und manche wollen, dass das Jüdische stärker sein soll als das Demokratische. Im Gesetz, das ich jetzt vorlege, sind beide Werte gleich stark."

Hymne und Flagge

Der Gesetzesentwurf bestätigt etwa die bestehenden jüdischen Staatssymbole wie Hymne und Nationalflagge, ebenso den Gebrauch des hebräischen Kalenders und das "Rückkehrgesetz", das einwandernden Juden den Anspruch auf die Staatsbürgerschaft gibt.

Zugleich werden allen israelischen Bürgern, unabhängig von Religion oder Volkszugehörigkeit, gleiche persönliche Rechte garantiert. Doch die entsprechenden Formulierungen stammen vom rechten Flügel und scheinen den jüdischen Elementen mehr Gewicht zu geben als den demokratischen - das findet beispielsweise auch Generalstaatsanwalt Jehuda Weinstein, der als Rechtsberater der Regierung eine wichtige Rolle spielt.

Netanjahu hat eine abgemilderte Version angekündigt, doch die liberalen Kräfte in der Regierung vertrauen ihm nicht und steigen heftig auf die Bremse: "Das Gesetz ist schlecht, antizionistisch, antidemokratisch", sagte Justizministerin Zipi Livni, "ich unterstütze das auf keinen Fall."

Gegner der Initiative argumentieren, es sei ohnehin schon in der Unabhängigkeitserklärung von 1948 ganz klar festgelegt, dass Israel der Nationalstaat der Juden und zugleich demokratisch sei - daher sei es überflüssig, gerade in der jetzigen angespannten Stimmung die arabischen Bürger Israels und die palästinensischen Nachbarn durch ein brisantes Gesetz zu verärgern.

Ungewissheit

Netanjahu erwiderte, wer "zwei Staaten für zwei Völker" wolle, müsse zugleich mit einer "palästinensischen Nationalheimat" auch eine "jüdische Nationalheimat" anerkennen.

Ob und in welcher Form das Gesetz tatsächlich beschlossen wird, ist vorläufig ungewiss. Über eine provisorische Fassung sollte am Mittwoch im Parlament abgestimmt werden. Zuletzt hieß es, dass die Abstimmung aufgeschoben wird, damit Zeit bleibt, um sich auf einen Kompromiss zu einigen. Auf jeden Fall hätte das Gesetz noch Ausschüsse und drei weitere Lesungen im Plenum zu passieren. Wenn einzelne Minister gegen den Entwurf stimmen, wäre das für Netanjahu ein Grund, sie zu entlassen.

Alle Regierungsparteien betonen zwar, dass sie keine Neuwahlen wollen, doch manche Beobachter schätzen, dass Netanjahu nicht mehr glaubt, mit der jetzigen Koalition noch weiterarbeiten zu können. (Ben Segenreich, DER STANDARD, 25.11.2014)