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Die zehnjährige "Sweetie" wurde von der NGO Terre des Hommes kreiert.

Foto: EPA/TERRES DES HOMMES / HANDOUT

Insgesamt 20.000 Männer sollen Kontakt mit dem virtuellen zehnjährigen Mädchen "Sweetie" aufgenommen haben, um sie für sexuelle Handlungen vor der Webcam zu bezahlen. Von rund 1.000 Männern aus 71 Ländern sollen Kontaktdaten gesammelt und den Behörden weitergegeben worden sein. Erst einer soll deshalb verurteilt worden sein. Und der Australier Scott Robert H. könnte der Einzige bleiben, denn die Rechtslage in vielen Staaten lässt die Fälle nicht vor Gericht kommen. Österreich ist einer davon.

Zehn Wochen lang bewegten sich Mitarbeiter der NGO Terre des Hommes im vergangenen Jahr mit dem computergenerierten Bild eines minderjährigen philippinischen Mädchens in Teenager-Chats und ließen sich von Männern anschreiben. "Niemand von ihnen hat das zum ersten Mal gemacht", erzählt Hans Guyt, Projektleiter von "Sweetie": "Ohne Smalltalk verhandelten sie gleich den Preis für sexuelle Handlungen." Entweder sie forderten diese von dem Mädchen oder zeigten sich selbst via Webcam beim Masturbieren.

Daten an die Niederlande

Die gesammelten Daten übergaben die Mitarbeiter schließlich an die niederländischen Behörden, die diese gemeinsam mit Europol auswerteten. Anschließend wurden die Informationen an nationale Polizeibehörden weitergegeben. Das Bundeskriminalamt in Wien erhielt drei IP-Adressen, die im Zusammenhang mit Österreich stehen. Anfangen kann es allerdings nichts damit. Um eine Straftat begangen zu haben, hätten die Männer ein reales Kind anschreiben müssen. Außerdem ist der Einsatz eines "Agent provocateur" streng verboten, weiß Gerald Hesztera, Sprecher von Europol.

Weitere Probleme bei den Ermittlungen durch NGOs sind die fehlende Nachvollziehbarkeit der Aktion und die genaue Dokumentation. "Vor Gericht muss der Richter sicher sein können, dass es keine Schlampereien gegeben hat", sagt Hesztera. Ob in diesem Fall genau dokumentiert wurde oder ob das für Hilfsorganisationen überhaupt möglich ist, könne er nicht beantworten. Bei Europol gebe es auch einen eigenen Datenschutzbeauftragten, und die Beamten würden während ihrer Ermittlungen streng kontrolliert werden.

Interpol will keine Daten bekommen haben

Die internationale Polizeibehörde Interpol hält in einem Statement fest, dass NGOs eine große Rolle in der Opferbetreuung spielen, Ermittlungen aber den Behörden überlassen sollten. Außerdem habe man keinerlei Informationen über diese Aktion erhalten.

Das Sicherheits- und Justizministerium der Niederlande, wo die Informationen gelandet waren, wird auch keine Ermittlungen einleiten. Die "Sweetie"-Kontakte seien in den Niederlanden nicht strafbar, so eine Sprecherin des Ministeriums.

Dass die Rechtslage in vielen Ländern Verurteilungen aufgrund der Aktion ausschließt, sei Terre des Hommes von Anfang an klar gewesen, sagt Guyt. Man wollte aber vor allem Aufmerksamkeit auf das Thema Webcam-Missbrauch lenken. Das sei gelungen, und deshalb sei "Sweetie" ein Erfolg für ihn. Die Organisation sei bereits seit zehn bis fünfzehn Jahren auf den Philippinen im Opferschutz tätig.

Von Eltern gezwungen

Im Jahr 2011 habe man im Laufe dieser Arbeit erkannt, dass die minderjährigen Kinder nicht mehr in Bars auf die Täter warten, sondern den Kontakt in Internetcafés herstellen. Außerdem beobachteten die Mitarbeiter, dass sich eine neue Gruppe von Opfern bildete: Vier- bis Fünfjährige, die von ihren Eltern zur Prostitution vor der Kamera gezwungen werden. Über die Männer – die Täter – wollte die NGO mehr herausfinden. "Sie entsprechen nicht dem klassischen Klischee von Pädophilen, sondern sind wohlhabende Männer mit Frau und Kindern", sagt Guyt.

Es gibt Schätzungen, dass jeden Moment rund 75.000 Pädophile im Internet unterwegs sind und alleine auf den Philippinen im Jahr 2011 mehrere tausend Kinder zu Opfer wurden. Trotzdem gab es weltweit bis zum Jahr 2013 nur sechs Verurteilungen in Sachen Webcam-Missbrauch. Heuer sprachen die philippinischen Behörden bereits von 100.000 missbrauchten Kindern.

Ermittlungen im Internet sollen erleichtert werden

Terre des Hommes fordert deshalb, dass die Polizei mit mehr Befugnissen für Ermittlungen im Internet und "Verbrechen des 21. Jahrhunderts" ausgestattet wird. "Auf der Straße darf man mich auch anhalten und verwarnen, wenn ich zu schnell gefahren bin. Wieso dürfen das Polizisten im öffentlichen Raum des Internets nicht?", stellt der "Sweetie"-Projektleiter die rhetorische Frage.

In den Niederlanden wird nun ein Gesetz diskutiert, dass den Beamten ebensolche Befugnisse geben soll. "Damit Verbrechen verhindert werden, bevor sie passieren", sagt Guyt. (Bianca Blei, DER STANDARD, Langfassung, 27.11.2014)