Ganster lebt gerne im Hotel, sie muss nicht pendeln.

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Oberlech/Wien - "Meine ist immer noch in Ordnung", sagt Eva Ganster und meint ihre Gebärmutter. Die 36-Jährige ist es gewohnt, über dieses ihr Organ zu sprechen - die Ehre hat der Uterus dem Schweizer Gian-Franco Kasper zu verdanken, der 1997 als Argument gegen skispringende Frauen ins Treffen geführt hatte, ihnen könnte es "bei der Landung die Gebärmutter zerreißen". Ein Jahr später sollte Kasper, seit 1975 Generalsekretär des Weltskiverbands (Fis), das Präsidentenamt übernehmen, das sagt nicht zuletzt über die Fis einiges aus. "Was soll der blöde Spruch", dachte sich die 18-jährige Eva. Aber sie war eher belustigt als gekränkt. Schließlich habe Kasper "sich selbst bloßgestellt. Er war halt überhaupt nicht informiert. Dabei ist es logisch, dass jeder Abfahrtslauf gefährlicher ist als die Landung nach einem Sprung."

Doch so war die Zeit, und so war die Fis. Seither sind beide vorangeschritten. Für Ganster freilich, die 2005 ihre Karriere beendet hatte, kamen der erste offizielle WM-Bewerb (2009) und die Olympia-Aufnahme (2014) zu spät. Die Tirolerin hat sich so oder so sehr gefreut, als ihre steirische Nachfolgerin Daniela Iraschko-Stolz WM-Gold (2011) und Olympia-Silber holte. Von der Ungnade einer frühen Geburt will Ganster jedenfalls nichts wissen. "Ich sitze nicht heulend in der Ecke. Ich hab kein Gold, aber so viele Erlebnisse, die mir keiner nehmen kann. Hätte ich reich werden wollen, hätte ich von vornherein nicht Skispringen dürfen."

Von vornherein ist sowieso relativ. Denn als Kitzbühelerin ist Eva zwar "praktisch mit Skiern auf die Welt gekommen", aber natürlich mit alpinen, nicht mit Sprunglatten. Beim Schülerskitag in der dritten Klasse Volksschule gewann sie den Riesenslalom, der Preis für die Sieger der diversen Klassen war ein kleines Skispringen im Zielraum der Streif, eh mit den alpinen Skiern, und eigentlich war vorgesehen, dass nur Burschen mittun. Was vorgesehen war, war Eva freilich herzlich egal, also sprang sie mit und auf den zweiten Platz. Plötzlich bemerkte sie, dass die Schanze in Kitzbühel nur fünf Gehminuten vom Elternhaus entfernt lag. Als sie sich bei den Skispringern anmeldete, "haben viele noch gelacht".

Die Lacher wurden schmähstad

Als Eva im Jahr darauf den Landescup gewann, waren die Lacher schon weniger geworden, und als sie 1991 österreichische Meisterin der 12/13-Jährigen wurde, waren die Lacher verstummt. "Ich habe alle Burschen geschlagen. Und die Trainer und Funktionäre haben sich wohl gefragt: 'Scheiße, was tun wir jetzt?'" Sie taten das Richtige. Vor allem Paul Ganzenhuber setzte sich für Ganster ein, die als 14-Jährige ins Skigymnasium Stams übersiedelte. In der Schulklasse saßen natürlich auch andere Mädchen, Skifahrerinnen, Langläuferinnen, aber in der Trainingsgruppe gab es Burschen - und Eva. "Als Mädchen bist du da besonders gefordert. Ich hab immer Vollgas geben müssen, hab mir keine Blöße geben dürfen. Aber das war eh mein Motto. Geht nicht, gibt's nicht."

1994 durfte Ganster bei der Vierschanzentournee vorspringen, und sie wurde von den norwegischen Veranstaltern zu den Olympischen Spielen nach Lillehammer eingeladen. "Auch dort war ich Vorspringerin, 40.000 Zuschauer waren da, ich bin 113,5 Meter weit gesprungen, das war Weltrekord damals." Eines dieser Erlebnisse, die Ganster nicht missen will. Damals, in Lillehammer, war ihre Mutter Dagmar mit dabei, insgesamt hat sich aber vor allem ihr Vater Edgar, ein mittlerweile pensionierter Tierarzt, sehr für Eva und ihre Sprungkolleginnen eingesetzt. Edgar rannte den diversen Veranstaltern und der Fis eine Tür nach der anderen ein, er lag jedem Funktionär in jedem Ohr, Edgar gab einfach keine Ruhe. Mag sein, die Gebärmutter-Äußerung war ein wenig auch darauf zurückzuführen, dass Herr Kasper von Herrn Ganster schon leicht genervt gewesen ist.

Ins Guinness-Buch

Im Februar 1997 flog Ganster vor dem Herren-Weltcup am Kulm den ersten Damen-Skiflugweltrekord (167 Meter) und ins Guinness-Buch der Rekorde. Ein Damenbewerb im Rahmen der Junioren-WM 1998 in St. Moritz gilt als erste inoffizielle WM, Ganster landete hinter der Finnin Heli Pomell an zweiter Stelle. Pomell hatte nur 0,4 Punkte Vorsprung. Ganster nahm es locker. "Ich hab vielleicht in einen Apfel beißen müssen", beschreibt sie ihre Pioniertätigkeit, aber der Apfel sei "nicht nur sauer, sondern auch süß" gewesen. Weil es die Rekorde gab, weil es den Trip nach Lillehammer gab, und weil die Skispringerinnen langsam, aber sicher akzeptiert wurden. "Ich habe verstanden, dass alles gedauert hat. Es hätte niemand profitiert, wenn es die erste WM um fünf Jahre früher gegeben hätte, und wenn dann vielleicht drei von vier Teilnehmerinnen am Vorbau gelandet wären."

Der Weltcup-Vorläufer hieß Continental Cup, Eva schaffte viele Spitzenresultate und hätte noch mehr geschafft, doch 2005 schnallte sie ab. Mit 27. "Nach meinem letzten Sprung in Oslo hab ich Rotz und Wasser geheult. Aber ich war mit dem Studium fertig, ich wollte anfangen, für die Pension anzuschreiben." Finanzielle Absicherung durchs Bundesheer spielte es für sie nicht, da ihr Sport - noch - nicht olympisch war. Fürs Fußballspielen, im Sommer Gansters zweite Leidenschaft, galt Ähnliches, wobei sie auch dafür Talent hatte. Beim SK Zirl bewies sie oft ihre Torgefährlichkeit, 2004 war sie Schützenkönigin der 2. Division West.

Studium

In Innsbruck hatte Ganster Gesundheitssport sowie Sport- und Bewegungswissenschaften studiert und eine Zusatzausbildung zur Myoreflex-Therapeutin abgeschlossen. Die Frau Magister bewarb sich auf eine Ausschreibung hin im Burg Vital Resort in Oberlech, flugs übersiedelte sie auf den Arlberg. Das Burg Vital, ein Fünf-Sterne-Hotel mit Drei-Hauben-Restaurant, wurde kürzlich von Gault Millau Österreich zum Hotel des Jahres gewählt. Dort lässt es sich urlauben, dort lässt es sich auch leben. Ganster, zunächst saisonal angestellt, hat nun einen Ganzjahresjob und genießt es, dass sie "nicht pendeln" und "nicht kochen" muss. Wer in der Arbeit wohnt oder am Wohnort arbeitet, ist klarerweise stets greifbar - für Ganster ist auch das eher ein Vorteil, schließlich arbeitet sie gerne.

Eva Ganster ist oft und gern unter Menschen, manchmal auch gern allein, sie ist derzeit solo, macht sich "keinen Stress", geht gern Skifahren, geht gern wandern, geht gern auf Reisen. Letztes Jahr war Hawaii angesagt. Der weite Flug? Sie lächelt. "Weite Flüge haben mich noch nie gestört." (Fritz Neumann , DER STANDARD, 24.11. 2014)