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Auch Christoph Walz hat sich für Movember einen Schnurrbart wachsen lassen.

Foto: APA/Movember/tomo brejc

Was bei Brustkrebs die rosa Schleife ist, soll bei Prostatakarzinom der Schnauzer werden.

Foto: Fatih Aydogdu

Wien - In Österreich wird es bald 3.721 Schnurrbart tragende Männer mehr geben (Stand 11.11.2014). Diese Gruppe nennt dann das sekundäre Geschlechtsmerkmal "Mo" und setzt auf unkonventionelle Weise ein Zeichen: und zwar für Männergesundheit - vor allem dafür, die Wachsamkeit für Prostata- und Hodenkrebs zu erhöhen und Spenden zu sammeln, um damit Programme für das Gesundheitsbewusstsein von Männern zu unterstützen und um Hoden- und Prostatakrebs besser zu erforschen.

Weit verbreitet

Ein hehres und wichtiges Ziel. Gerade Prostatakrebs stellt Mediziner wie Patienten vor ein Dilemma. Karzinome, die durch Früherkennung entdeckt werden, sind nämlich unter Umständen gar nicht so gefährlich, werden aber behandelt. Mitunter haben Patienten dann mit den Nebenwirkungen von Operation oder Bestrahlung zu kämpfen, etwa Impotenz oder Inkontinenz. Wenn sehr aggressive Karzinome entdeckt werden, was bei einer kleinen Gruppe von Männern der Fall ist, gibt es trotz Früherkennung kaum therapeutische Hilfe.

Doch zeigt die Movember-Bewegung auch, wie schnell sachliche Information beängstigend wirken kann. So steht in großen Lettern auf der Movember-Website, Prostatakrebs sei die weitestverbreitete Krebsform in Österreich. Das ist ohne Frage richtig. Geradezu sprunghaft nahm die Häufigkeit der Tumore in den letzten 20 Jahren zu. Erkrankten 1990 noch 2.299 Männer, waren es zwei Dekaden später 4.652, zwischenzeitlich sogar mehr als 5.000 neue Patienten im Jahr. Einer von zehn krebskranken Männern sterbe an Prostatakrebs, heißt es bei Movember.

Relativierende Betrachtung

Ist die Krankheit wirklich so heimtückisch? Nein. Denn mindestens so wichtig wie die Informationen auf der Webseite sind diejenigen, die dort nicht zu finden sind. "Natürlich ist Prostatakrebs eine ernst zu nehmende, bei immerhin einem Fünftel der Fälle aggressiv verlaufende, tödliche Erkrankung", sagt Gero Kramer, Leiter der Tumorambulanz an der Wiener Universitätsklinik für Urologie an der Med-Uni Wien. Richtig sei aber auch, dass sich die Sterblichkeit in den letzten zwanzig Jahren kaum verändert hat.

Prostatakrebs trifft mit großer Mehrheit Männer jenseits des 60. Lebensjahrs. Zwischen 1990 und 2013 aber stieg der Anteil von über 65-Jährigen in der Bevölkerung von etwa 1,2 auf 1,5 Millionen Menschen, grob die Hälfte davon männlich. Bezieht man das steigende Alter der Männer mit ein, dann ist die Sterblichkeit nach Auskunft des Statistischen Bundesamtes sogar gesunken - in den letzten zehn Jahren um 30 Prozent. Allerdings bezweifelt Kramer die Richtigkeit dieser Zahlen, "aus Kostengründen wird ja kaum noch genau hingeschaut", sagt er.

Vergleicht man Lungen- und Prostatakrebs, verliert die Movember-Aussage des "am weitesten verbreiteten Krebses" ihre Bedrohung. An Lungenkrebs erkrankte 2011 mit 2.577 Fällen nur knapp die Hälfte der Männer. Es starben allerdings 2.240 daran. Weil Lungenkrebs aber auch Frauen treffen kann, gehört er nicht ins Portfolio der Movember-Aktion.

Verstärkte Diagnose

Zugenommen hat in diesen Jahren indes die Diagnose der Prostatakarzinome. Wissenschafter wie Peter Goetzsche vom Nordic Cochrane Center sprechen von Überdiagnostik. Das liegt vor allem an der Verbreitung des Prostata-Antigen-Spezifischen-Tests (PSA). Er misst die Menge eines Eiweißes, das im Verlauf einer Krebserkrankung steigt.

Warum? Die Prostata bildet die Samenflüssigkeit des Mannes, eine schleimige Masse, in der der Samen sich einbettet und länger überleben kann. Sie gibt aber auch das Prostata-spezifische Antigen (PSA) ab, jenes Eiweiß, das die Aufgabe hat, das zähflüssige Ejakulat zu verdünnen. Sobald es jedoch im Blut eine kritische Grenze überschreitet, besteht der Verdacht, dass sich ein Tumor entwickelt hat. Bei den meisten Männern bleibt der Test allerdings nicht eindeutig - und kann damit auch ein Hinweis auf Entzündungen, gutartige Prostatavergrößerungen oder eben Krebs im frühen Stadium sein.

Was also tun bei einem Verdacht? Viele verunsicherte Männer entscheiden sich für einen Eingriff - eine Maßnahme, die nach Aussage einer kanadischen Studie in etwa der Hälfte der Fälle nicht notwendig wäre. "Inzwischen setzt sich deswegen zunehmend die Haltung des aufmerksamen Beobachtens durch", erklärt Kramer, "Active Surveillance" ist der Fachbegriff für regelmäßige Kontrolluntersuchungen, die vor dem Hintergrund von familiären oder anderen Risikofaktoren stattfinden.

Überbehandlung vermeiden

Denn wie es sehr richtig auf der Seite der Movember-Bewegung heißt, stirbt nur einer von zehn Prostatakrebskranken an seinem Tumor, die neun anderen allerdings nicht. "Diese Männer wollen wir vor Überbehandlungen durch Operationen und Bestrahlung schützen", erklärt Kramer. Denn eine Operation oder Bestrahlung - beide Behandlungsformen sind in etwa gleichermaßen wirksam - können Inkontinenz oder Impotenz verursachen. Das heißt, neben dem eigentlichen Krebs gibt es mitunter auch ein neues Leiden nach einer Behandlung.

Deshalb ist Forschung dringend notwendig, um Tests zu entwickeln, die einen Krebsverlauf vorhersagen können, oder um hochaggressive Formen mit Medikamenten besser in Griff zu bekommen. Wenn Movember mit Schnauzbärten Geld dafür aufbringt, ist das ein wichtiger Beitrag. (Edda Grabar, DER STANDARD, 22./23.11.2014)