Gene oder Umwelt? Die bisher umfangreichsten DNA-Analysen schwuler Männer deuten darauf hin, dass es angeborene Dispositionen für Homosexualität gibt.

London/Wien - Die Frage "Angeboren oder erworben?" ist fast immer ein Aufreger, im Hinblick auf die sexuelle Orientierung aber in besonderem Maße. Die Diskussion wird nämlich noch dadurch verkompliziert, dass progressive Meinungsbildner davon ausgehen, dass wir unsere sexuellen Vorlieben völlig frei wählen könnten, während konservative Gruppen behaupten, dass es "falsche" sexuelle Orientierungen gebe, die man "korrigieren" könne.

Vor mehr als 20 Jahren sorgte der US-Genetiker Dean Hamer, selbst bekennender Homosexueller, für viel Aufregung. Mit seiner Behauptung, dass es so etwas wie ein "Schwulen-Gen" gebe, sorgte er für Schlagzeilen rund um den Globus. Die empirische Grundlage war damals dünn: Hamer hatte die DNA von gerade einmal 40 schwulen Brüderpaaren untersucht und dabei herausgefunden, dass Veränderungen der Region Xq28 auf dem X-Chromosom auf Homosexualität hindeuten würden.

Neue Studie mit verbesserten Daten

Trotz heftiger Kritik an Hamers Studie haben sich seitdem die Hinweise auf genetische Dispositionen für eine homosexuelle Orientierung eher verdichtet. Die bisher besten Daten liefert nun eine Studie, die Genetiker um Alan Sanders (Northshore-Universität in Evanston) im Fachblatt "Psychological Medicine" veröffentlichten. Grundlage waren DNA-Analysen von immerhin 408 homosexuellen Brüderpaaren, darunter auch von etlichen zweieiigen Zwillingen.

Das einzige Merkmal, das alle 816 Probanden teilten, war ihre Homosexualität. Alle anderen Merkmale - wie Haarfarbe, Größe und Intelligenz - variierten sowohl innerhalb wie auch zwischen den Brüderpaaren. Die DNA-Proben der Studienteilnehmer wurden von den Forschern auf sogenannte Einzelnukleotid-Polymorphismen (SNPs) untersucht, also Variationen eines einzelnen Basenpaares.

Die Genetiker konzentrierten sich dabei auf DNA-Regionen, die schon in früheren Studien als genetische Marker für Homosexualität galten - neben Xq28 unter anderem noch die Region 8q12 in der Mitte des Chromosoms 8. Tatsächlich bestätigten die DNA-Analysen, dass SNPs auf diesen beiden DNA-Abschnitten mit Homosexualität in Verbindung stehen dürften.

Mehrere Faktoren prägen sexuelle Ausrichtung

Für Studienleiter Sanders relativiert sich dadurch die Vorstellung, dass die sexuelle Orientierung eine freie Wahl sei. Zugleich betont er, dass die sexuelle Ausrichtung von mehreren Faktoren abhängt - und eben auch von Umwelterfahrungen. Die Studie sei aber erst ein Anfang, wie Sanders gegenüber dem Fachblatt "New Scientist" erklärte: "Vor uns liegt noch viel harte Arbeit, um die spezifischen Gene und ihre jeweiligen Funktionen zu identifizieren." Nachbemerkung: "Und um die entsprechenden Gene bei Frauen zu finden." (tasch, DER STANDARD, 22.11.2014)