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Mexikaner lauschen vor dem Weißen Haus Obamas Rede.


Foto: AP / Alex Brandon

Astrid Silva war vier, als ihre Eltern über die Grenze aus Mexiko kamen, um in den USA ihr Glück zu versuchen. Noch an ihrem ersten Schultag sprach sie kaum ein Wort Englisch, doch heute studiert sie, während ihr Vater César, ein Gärtner, Anwälte einschalten muss, um sich gegen einen Amtsbescheid zu wehren, der seine Abschiebung verfügt.

Astrids Bruder, in Las Vegas geboren, hat als US-Bürger nichts zu befürchten, während sie selbst darauf verzichten musste, zur Beisetzung ihrer Großmutter nach Mexiko zu fahren. Bei der Passkontrolle wäre sie aufgeflogen.

Der Fall ist typisch, weshalb Barack Obama Astrid Silva zu einer Art Kronzeugin macht - und ihre Familie zum Paradebeispiel dafür, welch bizarre Blüten das Einwanderungsrecht treibt.

Am Freitag flog der Präsident nach Las Vegas, um sich feiern zu lassen für Korrekturen, die er am Abend zuvor im Weißen Haus skizziert hatte. Da stand ein Barack Obama, wie ihn seine dezimierte Anhängerschar schon lange nicht mehr erlebt hatte. Ein Kämpfer, der Klartext sprach: "Sind wir eine Nation, die die Scheinheiligkeit eines Systems toleriert, bei dem die Arbeiter, die unser Obst pflücken und unsere Betten machen, nie eine Chance erhalten, sich mit dem Recht auszusöhnen?" Der Präsident bringt es auf den Punkt: das Dilemma des ewigen Schwebezustands.

Im Schnitt leben die rund elf Millionen illegal Eingewanderten seit 13 Jahren im Land. Viele gründeten Familien. Als Maurer, Putzpersonal und in der Kinderbetreuung braucht sie die Wirtschaft. Sie zu deportieren, so Obama, sei weder realistisch, noch entspreche es Amerikas Charakter. Jeder sei einst Fremder gewesen.

Provisorischer Deal

Per Dekret verfügt das Weiße Haus also einen Abschiebestopp für Eltern von Kindern, die entweder US-Staatsbürger sind oder eine Aufenthaltserlaubnis besitzen - vorausgesetzt, die Eltern leben seit mindestens fünf Jahren hier. Sie sollen sich registrieren lassen, Steuern zahlen, und sofern sie eine polizeiliche Überprüfung bestehen, dürfen sie bleiben.

Obama spricht von einem Deal, er betont das Provisorische der Regelung. Weder ebne sie den Weg zur Staatsbürgerschaft, noch begründe sie einen Daueraufenthalt. Es geht darum, Härtefälle zu vermeiden. Dass der Schritt rechtens ist, lässt sich das Oval Office von zehn hochkarätigen Jusprofessoren bestätigen. Es ist der Versuch, der Polemik der Republikaner die Spitze zu nehmen. Deren Vorwurf: Obama benehme sich wie ein Monarch des 18. Jahrhunderts, indem er sich über das Parlament hinwegsetze.

Bei aller Emotionalität der Debatte: Es ist kühles, wahltaktisches Kalkül, das Obamas Weichenstellung bestimmt. 2016 wird sein Nachfolger gewählt, da dürften die Latinos erneut das Zünglein an der Waage bilden. In zwei Jahren hoffen die Demokraten auf diese Bevölkerungsgruppe, ob nun Hillary Clinton antritt oder ein Überraschungskandidat, der sich heute noch im Hintergrund hält. (Frank Herrmann aus Washington, DER STANDARD, 22.11.2014)