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Frühpensionen seien für die Produktivitätspotenzial schädlich, sagt der Chef der Euro-Arbeitsgruppe

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Thomas Wieser lehnt eine Budgetsonderbehandlung für Frankreich ab.

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STANDARD: Frankreich erhält zum dritten Mal eine Sonderregelung beim Stabilitätspakt, auch Italien kommt den Vorgaben nicht nach - ohne Konsequenzen. Wofür braucht man da überhaupt noch Budgetregeln?

Wieser: Sehr viele Mitgliedsstaaten haben erhebliche Fortschritte bei der Senkung der Defizite gemacht, aber es gibt auch eine Gruppe, die sich gerade 2014 nicht so gut entwickelt hat. Das hängt zum Teil mit der lahmenden Konjunktur zusammen, aber zum Teil auch mit zu geringen Ambitionen. Italien steht gar nicht so schlecht da.

STANDARD: Aber die Regierung Renzi ist vom Plan abgerückt, bis 2017 einen ausgeglichenen Haushalt zu erreichen. Kann man das bei einer Verschuldung von 130 Prozent des BIP auf die leichte Schulter nehmen?

Wieser: Der Budgetentwurf für 2015 war anfangs etwas unambitioniert, Italien hat aber nachgebessert. Die Kommission wird kommende Woche ihre Meinung dazu bekanntgeben. Mit Sicherheit wird Italien keinen völlig neuen Haushaltsplan einreichen müssen. Man muss auch bedenken, dass Italien seit einigen Jahren negative Wachstumsraten aufweist. Auch bei Frankreich wurde kein neues Budget eingefordert, bei Österreich ebenso nicht. Dennoch ist die Diskussion damit nicht abgeschlossen. Zusätzliche Einsparungen im nationalen Genehmigungsprozess könnten noch eingefordert werden, wenn nach den Berechnungen der EU-Kommission ein höheres Defizit droht.

STANDARD: Budgetpläne sind auch nur Papier.

Wieser: ... Wo ich mir bei einer Reihe von Mitgliedstaaten noch sicherer bin: Auch für den Budgetvollzug des Jahres 2015 können weitere Maßnahmen verlangt werden, wenn die Abweichungen aus heutiger Perspektive zu groß sind. Wenn jedoch signifikante Reformen geplant oder bereits im Parlament eingebracht sind, kann man bei der Beurteilung der Haushaltsdefizite etwas toleranter sein.

STANDARD: Frankreich und andere Länder hätten gerne weitere Ausnahmen. Wie stehen Sie dazu?

Wieser: Die Kommentierung, dass es für Frankreich wegen außergewöhnlich miserabler ökonomischer Umstände eine Ausnahme geben muss, ist sicher nicht gerechtfertigt. Ich sehe weit und breit kein negatives Wachstum in Frankreich.

STANDARD: Dennoch steigt der Druck, dass wegen der schwachen Konjunktur die Sparzwänge gelockert werden. Sollte man nicht beispielsweise Investitionen ausnehmen?

Wieser: Eine generelle Ausnahme für Investitionen wird es nicht geben. Aus gutem Grund: Es gibt einen Investitionsfetischismus, wonach ein auf Investitionen zurückzuführendes Defizit immer etwas anderes ist als ein durch laufende Ausgaben verursachtes Defizit. Mir ist jedoch ein Defizit für Lehrergehälter lieber als eines für den Bau eines zusätzlichen Kreisverkehrs oder einer Autobahn, und in einem hoch entwickelten Land wie Österreich für das Wachstum wohl auch entscheidender. Insofern ist das als plakative Forderung oft eine sinnlose Kategorisierung. Entscheidend ist: Handelt es sich um Ausgaben, die unser Wachstumspotenzial nachhaltig stärken, oder um solche, die bestenfalls für ein kurzes Strohfeuer bei der Nachfrage sorgen? Nehmen wir an, Italien hätte 2015 ein Defizit von fünf Prozent geplant und erklärt, nach Abzug des Investitionsanteils würden eigentlich nur noch drei Prozent verbleiben, so mag ein ausländischer Investor wohl fragen, ob dies etwas mit ökonomischen Realitäten zu tun hat. Wenn Defizite negative Auswirkungen an den Finanzmärkten auslösen, ist es völlig unerheblich, woher die Lücke kommt.

STANDARD: Und was wird die EU-Kommission diesbezüglich unternehmen?

Wieser: Sie wird nächste Woche eine Mitteilung zu den Fiskalregeln veröffentlichen. Dort wird aber nur erklärt, wie die bestehenden Regelungen zur Flexibilisierung zu verstehen sind, und eine gewisse zusätzliche Flexibilisierung im Rahmen des 300-Milliarden-Paketes in Aussicht stellen. Großflächige Änderungen wird es nicht geben.

STANDARD: Welche Ausgaben sind in Österreich nützlich oder entbehrlich?

Wieser: Der Breitbandausbau beispielsweise sorgt für eine nachhaltige Produktivitätssteigerung, ebenso Ausgaben für Bildung, Ausbildung und Weiterbildung - wenn die Strukturen effizient sind; ebenso Ausgaben für thermische Sanierung, um nur ein Einzelbeispiel heranzuziehen. Hacklerregelung und Frühpension sind für das Produktivitätspotenzial und unser zukünftiges Wachstum außerordentlich schädlich.

STANDARD: Wie bewerten Sie den österreichischen Budgetkurs?

Wieser: Dazu möchte ich mich im Detail nicht äußern. Eine Reduktion der Debatte auf den Saldo greift jedenfalls zu kurz. Man muss sich die gesamten Einnahmen und Ausgaben anschauen sowie deren Struktur. Da gilt - wie für alle Mitgliedstaaten -, dass die Budgets den Strukturwandel in Zeiten von Internationalisierung und Globalisierung weder adäquat fördern noch adäquat abfedern. Man muss Produktionsfaktoren viel stärker besteuern, die immobil sind. Die Struktur der österreichischen Einkommen- und Lohnsteuer ist nicht wachstumsfördernd und verteilungspolitisch unerwünscht.

STANDARD: Eine Steuerreform soll zwar kommen, über die Gegenfinanzierung gibt es aber höchst unterschiedliche Auffassungen. Wäre es möglich, deshalb höhere Defizite in Kauf zu nehmen?

Wieser: Das ist in den Regeln nicht vorgesehen. Man kann sicher das eine oder andere diskutieren, aber generelle Ausnahmen für Steuerreformen oder andere Ereignisse, die nicht auf konjunkturelle Fehlentwicklungen zurückzuführen sind, gibt es nicht.

STANDARD: Höchstens für Naturkatastrophen.

Wieser: So ist das (die Steuerreform, Anm.) jedenfalls nicht geplant. Generell ist ja die Frage, ob man Steuersenkungen mit anderen Einnahmen kompensiert oder die Ausgaben durchforstet und primär auf dieser Seite die Gegenfinanzierung vornimmt. Ich denke da vor allem an Maßnahmen im Pensionssystem, inklusive des Pensionsantrittsalters für Frauen. Das hat nicht nur fiskalische Konsequenzen, es handelt sich auch um eine wesentliche Schwächung des Produktivitätspotenzials. Und es ist mit eine Ursache für die Lebenseinkommensschere zwischen Mann und Frau. Wichtig wären zudem Maßnahmen zur Entbürokratisierung. Das bringt weniger fürs Budget, dafür umso mehr für den Einzelnen. Wenn man sich Weltbankberichte dazu anschaut, spricht das Bände. (Andreas Schnauder, DER STANDARD, 22.11.2014)