Nukleare Gefahren aussperren? "Since 1986" von Olga Georgieva, die nur wenige Monate nach der Tschernobylkatastrophe geboren wurde.

Foto: Zornitza Gurova

Wien - Die Umrisslinien Japans ähneln eher dreckigem Schaum: Tritt man näher an die Fotografie heran, erkennt man im bräunlichen Unbehagen Reishäufchen. Künstlerin Sissa Micheli hat die Topografie der Inselwelten im Pazifischen Ozean mit Reis nachgebildet. Nicht mit irgendwelchem Reis, sondern mit Reis aus Fukushima, in Bioqualität.

Mitgebracht hat die nahrhaften Körnchen aus der Region rund um das Kernkraftwerk, das seit März 2011 durch eine katastrophale Serie schwerer nuklearer Störfälle traurige Berühmtheit besitzt, Marcello Farabegoli, Kurator der Ausstellung No More Fukushima, ein Spezialprojekt der Vienna Art Week.

Inzwischen wird der Reis aus der landwirtschaftlich wichtigen Region - früher wurden jährlich mehr als 100 Tonnen Reis, Pfirsiche und Äpfel exportiert - aber wieder ausgeführt.

Der Reis sei einwandfrei, auf Radioaktivität getestet und entspreche den offiziellen Standards für Lebensmittelsicherheit, heißt es in Japan von Behördenseite. Aber würden die Leute in Wien den Reis essen? Ein Experiment, auf das sich Farabegoli gern einließ. Gemeinsam mit der japanischen Künstlerin Hana Usui hat er daher zur Eröffnung aus dem restlichen Reis Onigiri, gewürzte japanische Reisbällchen, zubereitet. Von 79 Stück wurden 51 Stück verzehrt, berichtet er anderntags.

Ob Edgar Honetschläger Reis aus Fukushima essen würde? "Nein, sicher nicht." Der Künstler und Filmemacher, der ebenfalls an der kleinen Schau im Verein 08 beteiligt ist, schüttelt entschieden den Kopf. 20 Jahre lang war die keine 300 Kilometer von Fukushima entfernte Neun-Millionen-Metropole Tokio seine Heimat.

Die Katastrophe führte bei ihm zu einer Erstarrung, erzählt er. An eine Kunstproduktion sei zunächst nicht zu denken gewesen. Ein österreichischer Filmproduzent sei mit der Idee auf ihn zugekommen, einen Film über die Wahrheit zu machen. Aber ein Projekt in der Art von Michael Moore, "hier die Bösen, da die Guten, hier die Tepco-Leute und die Politiker, dort das heilige Volk", wäre ihm zu naiv und eindimensional gewesen.

Stattdessen entstand später, gemeinsam mit Sylvia Eckermann, die Plattform Sound of Sirens, deren Kurzform SOS den alarmierenden Charakter des Projekts spiegelt. Man rief dazu auf, filmische Statements zur nuklearen Katastrophe einzuschicken. "Wir wussten damals schon, dass jeder, der sich in Japan ehrlich zum Thema äußert, Probleme bekommt."

"Es ist sehr ungemütlich in Japan." In den letzten dreieinhalb Jahren wurden mehrere "sehr dubiose Gesetze verabschiedet", so Honetschläger. "Jeder Journalist, der sich kritisch zu bestimmten Themen äußert, kann nun sofort geklagt werden. Das ist auch schon passiert", kritisiert er die Beschränkung freier Meinungsäußerung. Die Behörden hätten auch das Recht, Menschen, ohne Anhörung der Familie oder eines Anwalts, zu entmündigen. Unbequeme könne man also leicht in die Psychiatrie abschieben.

Problem? Kein Problem.

Es war für SOS wichtig, dass das hochgeladene und womöglich verfängliche Videomaterial nie auf japanischen Rechnern, sondern nur auf Servern in San Diego und Wien gespeichert wurde. Einer dieser 180 SOS -Rufe, aus denen nun ein Film wird, ist in No More Fukushimas zu sehen: Eine junge Mutter formuliert darin ihre Sorgen. "Sie", so ihre Umschreibung der ungreifbaren Verantwortlichen, mögen doch bitte sagen, ob es besser sei, wegzuziehen.

Aber der Regierung sei es, so Honetschläger, zusammen mit der IAEA gelungen, uns glauben zu machen, dass es kein Problem gibt. Wird das Gegenteil behauptet, würde dies "belächelt, als Hysterie oder als Information eines Laien" bezeichnet. Der Atomenergiebehörde macht er, der sich seit 2011 intensiv mit Atomfragen beschäftigt und die Auseinandersetzung mit Politik als Pflicht der Künstler begreift, große Vorwürfe. Schon seit 1959 gebe es ein Papier, das es der Weltgesundheitsbehörde untersagt, unabhängig von der IAEA über die Folgen von Atomkatastrophen zu forschen und zu berichten. (Anne Katrin Feßler, DER STANDARD, 21.11.2014)