Wenn sich die Wohnung nicht verkaufen lässt, beginnt man eben bei den Stühlen: Kevin Kline in "My Old Lady".

Foto: polyfilm

STANDARD: Sie spielen einen New Yorker, der Französisch radebrecht. Dabei haben Sie die Sprache doch in der Schule gelernt, nicht wahr?

Kevin Kline: Na ja, man lernt es dort mehr zu lesen, aber nicht, wie man spricht. Es braucht eine ganz andere Fertigkeit, mit gesprochener Sprache umzugehen und sie zu verstehen, als unregelmäßige Verben anzusammeln. Romanische Sprachen haben mich immer interessiert - ich mochte schon Latein.

STANDARD: Sie spielen Mathias Gold, er erbt ein Appartement im Pariser Stadtteil Marais. Und er erbt eine 92-jährige Frau, die darin wohnt. Am Anfang des Films ist Mathias keine einnehmende Figur, er agiert skrupellos. Was mochten Sie an ihm?

Kline: Ich las das Stück von Israel Horovitz schon vor Jahren einmal, und schon damals fand ich es sehr ehrgeizig, denn der Tonfall verlagert sich sehr stark. Der Beginn ist komödiantisch, aber dann brechen alle diese andere Familienaspekte auf. Es ist nicht leicht, das alles in einer Rolle zuwege zu bringen. Das fand ich verlockend. Der Charakter ist eigentlich schrecklich unsympathisch. Ich mochte ihn gar nicht - und genau das mochte ich daran. Es ist eine Falle für jeden Schauspieler, wenn man nur die Zuneigung des Publikums gewinnen möchte. Diesen Drang muss man überwinden, denn das ist ein unehrlicher Impuls. An Mathias fand ich gerade attraktiv, dass er nicht um Zuneigung buhlt.

STANDARD: Er verbirgt viele Verletzungen. Eine Gratwanderung?

Kline: Als Schauspieler muss man versuchen, das Publikum so weit zu bringen, dass sie mit dir mitfühlen. Erst dann macht man seinen Job richtig. Auch Hamlet und Cyrano de Bergerac, die ich beide am Theater gespielt habe, funktionieren so. Cyrano sagt: "Ich liebe es, gehasst zu sein." So weiß er, dass er authentisch ist. (laut ausrufend) "Gebt mir mehr davon!" Solche komplexen Figuren tauchen im Film nicht allzu oft auf.

STANDARD: "My Old Lady" ist eine Art Kammerspiel. Da ist natürlich die Chemie zum Gegenüber, zu Maggie Smith wichtig. Haben Sie von Beginn die richtige Spur gefunden?

Kline: Nein, eine Spur habe ich zu vermeiden versucht, denn allzu leicht wäre daraus eine Fahrrinne geworden! Also ein Trott! Was die Chemie anbelangt: Die muss man mit jedem haben, mit dem man spielt. Aber vielleicht sag ich das auch nur so flapsig, weil Chemie nicht mein Lieblingsfach in der Highschool war. Natürlich, man muss zueinanderfinden, aber das fällt bei Maggie Smith - wie bei jedem guten Schauspieler - eigentlich nicht schwer. Gute Schauspieler sind großzügig mit ihren Emotionen, mit ihrer Präsenz. Sie bringen das Beste aus dir heraus. Also kurz gesagt: Die Beziehung war da. Maggie verlangte einfach nach einer ehrlichen Antwort. Soviel zur Chemie - zwei Elemente, die verbrennen!

STANDARD: Schaut man sich nach solchen Erfahrungen bewusst um?

Kline: Oh ja, wer mit mir spielt, ist für mich fast genauso wichtig wie der Regisseur. Es ist, als würde man einer Familie beitreten, und die kann sich als Glücksfall erweisen oder eben als das Gegenteil.

STANDARD: Haben Sie eine besonders bevorzugt? Sie haben in so unterschiedlichen Filmen wie "Sophie's Choice", "A Fish Called Wanda" oder "The Ice Storm" gespielt, den ich besonders schätze.

Kline: Ich habe viel Glück gehabt und war Teil von unglaublichen Familien. Die aus The Ice Storm war besonders dysfunktional - innerhalb des Films, meine ich natürlich. Ich hatte wohl nur zwei, drei schlechte Erfahrungen, da wollte ich nicht zur Arbeit gehen, weil mich die Leute wahnsinnig machten. Aber das passiert selten. Das ist schon ein Kriterium: Ein Regisseur hat einmal gesagt, er kenne tolle Schauspieler, mit denen er einfach nicht zwölf Stunden am Tag verbringen will, weil sie schwierig oder zu negativ sind.

STANDARD: Ihr Glück hat aber wohl auch damit zu tun, dass Sie wählerisch sind. Man hat Ihnen den Beinamen, Kevin "Decline" (Kevin, der ablehnt) gegeben - das haben Sie vermutlich schon zu oft gehört ...

Kline: Jeder Schauspieler ist wählerisch! Ich war es vielleicht ein wenig mehr, weil ich die ersten zehn Jahre meiner Karriere damit verbracht habe, klassisches Theater zu spielen. Wenn man mit Shakespeare und Tschechow, diesen gewichtigen Themen und funkelnden Rollen groß wird, wird man wohl etwas verdorben. Ich entschied mich für Filme mit interessanten, vielschichtigen Fragen, die das Publikum das Leben fühlen und darüber nachdenken lassen, für tiefgründige Filme wie Ein Fisch namens Wanda. Ein Scherz! Im Kino kann man sich seine Familie aussuchen, im Leben nicht. Man wird nur geboren, und da steht sie dann und schaut dich an.

STANDARD: Sie haben mit Regisseuren wie Lawrence Kasdan, Alan J. Pakula oder Robert Altman gedreht. Sie stehen für ein Kino, das Hollywood immer weniger realisiert. Sogar Steven Spielberg hat das im vergangenem Jahr einmal kritisiert. Wie sehen Sie das?

Kline: Nun, Steven Spielberg hat seinen Teil dazu beigetragen und einem breiten Publikum gedient. Nein, das ist unfair von mir - er fügt sich nicht so leicht, aber er macht kommerzielle Filme, manche davon waren großartig. Aber ich verfolge keine Trends, lebe nicht in Hollywood, lese keine Branchenblätter ... Dass die Polarität zwischen den Blockbusterverfechtern und jenen, die etwas Originelleres machen wolle, wächst, habe ich gehört. Aber aus meiner Perspektive ist das Verhältnis immer noch ähnlich wie früher. Werden es weniger? Was denken Sie?

STANDARD: In Hollywood wohl schon, aber umgekehrt gibt es eine reichhaltige Independentszene.

Kline: Die Filme, die nur Unterhaltung sein wollen, sind sicher noch eskapistischer geworden. Da ist keine Verbindung zur Realität mehr da. Manche sind brillant gemacht. Ich habe ein paar gesehen, weil sie mir irgendjemand empfohlen hat und habe den ganzen Film durchgelacht, weil er so absurd war. Nicht ein Moment erschien mir glaubwürdig. Warum solle ich für diese Figuren etwas empfinden? Es will albern sein. Aber auch darauf wird es irgendwann eine Reaktion geben. Das sind eben Filme für Teenager oder für Leute, die geistig auf Schülerniveau geblieben sind.

STANDARD: Etwas anderes: Sie haben bei der Animationsserie "Bob's Burgers" einer Figur ihrer Stimme geliehen. Demnächst kann man sie hier auf Comedy Central empfangen.

Kline: Wirklich? Das ist lustig, denn ich habe damit vor vier Jahren angefangen, als meine Kinder noch jünger waren. Sie meinten, ich müsse zusagen. Wir dachten, es sei nur ein Gastauftritt. Jetzt sind wir in der vierten Staffel, ich komme allerdings nur in jeder fünften Folge vor. In den USA ist die Serie populär. Angeblich ist sie sehr lustig, ich habe nur eine Folge gesehen. Die Kinder schauen es auch nicht mehr so oft ... Wird es auch Bob's Burgers heißen?

STANDARD: Ja, klar.

Kline: Aber Burger heißt doch auf Deutsch etwas anderes. Das ist doch jemand, der in der Stadt lebt, ein Staatsangehöriger.

STANDARD: Sie meinen Bürger, aber Burger gibt es auch - wie in New York jetzt auch in der aufgejazzten Version.

Kline: Ah! Sehr groß hier. Zum Beispiel bei Shake Shack. Die sind wirklich köstlich. Das kann man ja auch aufs Kino übertragen: Es gibt die von McDonald's und dann gibt es die Gegenreaktion, die dem Burger wieder eine Bedeutung gibt. (Dominik Kamalzadeh, DER STANDARD, 21.11.2014)