Wurden akklamiert: Doris Weiner und Pavel Fieber ("Josef und Maria") bei der mühsamen Erarbeitung von etwas Zuneigung.

Foto: Lalo Jodlbauer

Wien - Für Peter Turrinis Seniorendrama Josef und Maria ist der Saal der Berufsschule Längenfeldgasse wie geschaffen. Von hier aus sickern die Bezirke-Produktionen des Wiener Volkstheaters hinüber in die anderen Arbeiterhiebe. In dieser Ecke Meidlings ticken die Uhren allem Anschein nach langsamer. Saal wie Vorraum atmen noch den Geist des sozialistischen Barock. Die formschöne Anlage ächzt unter der Erinnerung an eine Zeit, als sich heimische Gewerkschaftspräsidenten vor allem deshalb Chauffeure für ihre Limousinen hielten, um mit ihnen schnapsen zu können.

Billiger Weinbrand bildet das Lebenselixier der Gelegenheitsputzfrau Maria (Doris Weiner). Die kleine, äußerst resolut wirkende Dame verrichtet im Hinterzimmer eines Großkaufhauses ihr segensreiches Werk. Nachdem sie Kunstwebpelz und Greisinnenkostüm säuberlich im Schrank entsorgt hat, rückt sie mit knappen, sparsamen Bewegungen dem Staub zu Leibe. Frau Weiner ist auch die Regisseurin dieser kleinen, kargen, in ihren sparsamen Anmut äußerst ansprechenden Produktion. In Wahrheit hätte die wunderbare Ingrid Burkhard die Rolle der gelernten Varietékünstlerin Maria spielen sollen. Leider hat sich Burkhard bei den Probenarbeiten verletzt, und so gibt Weiner als Einspringerin der Figur einen tüchtigen Schuss Säure mit auf den blankgeputzten Weg.

Herbeizitiert wird der Weihnachtsabend 1992. Frau Maria ist eine von Turrini mit liebevoller Sorgfalt zurechtgeknetete Verwandte von Tschechows Drei Schwestern. Wo diese, von ihren Leben ausgelaugt, wehmütig seufzen: "Nach Moskau!", da weiß Maria, die gewesene Ausdruckstänzerin, ihr Sehnsuchtsziel schon hinter sich liegen: "Tirana!" Irgendwann einmal erlebte Maria Patzak nämlich ihr Sekundenglück als reisende Artistin.

Mit dem Aushilfswachmann und Bilderbuchkommunisten Josef (Pavel Fieber) entspinnt sich eine Romanze, wie sie sich kitschiger und unglaubwürdiger kaum denken lässt. Dieser Einwand zählt seit der Uraufführung von Josef und Maria 1980 nicht im Geringsten (der Autor hat das Stück später noch einmal überarbeitet). Die beiden in die Spätschicht des Lebens Verwiesenen arbeiten behutsam am Zustandekommen eines Glücks, das man sich scheut, das "kleine" zu nennen. Pavel Fieber schüttelt eine verquere Anmut aus den steifen Gelenken. Und Weiner tanzt den süßesten Tango zum Gesang von Carlos Gardel. Das muss man nicht, das sollte man freilich gesehen haben. (Ronald Pohl, DER STANDARD, 21.11.2014)