Wien - Er gehört zu der Kategorie von Künstlern, bei denen Veranstalter anfragen, wenn eine Eröffnung von Olympischen Spielen ansteht; er ist nicht nur Willkommen bei Carmen Nebel, sondern tritt auch dort auf; er begleitet Jonas Kaufmann mit silbernen Operettenklängen, wenn mal wieder ein Rudel goldglänzender Bambis prominente Pflegeeltern findet: Lang Lang ist so etwas wie das freundlich lächelnde Weltgesicht der breitenwirksamen Klassik. In Berlin spielte er vor seiner ersten Kooperation mit dem besagten deutschen Tenor Mozarts Alla turca, und ebenso überdreht und willkürlich, ebenso toll im ursprünglichen Sinne des Wortes gab er es auch in Wien bei seinem Soloabend im Konzerthaus, als zweite und letzte Zugabe. Alle komplett aus dem Häuschen, natürlich.

Lang Lang ist einer der fähigsten, feinfühligsten, technisch versiertesten Pianisten der Welt, aber er ist auch gleichzeitig ein Zirkuspferd, kunstvoller Kitschier und Extremist der Oberfläche. Akzente sind bei ihm oft Fallbeile, melodischen Linien meißelt er überdeutlich aus dem Stimmenblock. Als Ausgleich zu dem knallharten Gewerk verliert er sich in parfümiertem, watteweichem Klanggewölk.

Knackig, militärisch straff ging der 32-Jährige den ersten Satz von Bachs Italienischem Konzert an, überraschend die Zurücknahme und Verweichlichung des Klanges beim B-Dur Teil. Wundervoll der langsame Satz mit eher satten Begleitterzen der linken Hand, plötzlichen Pianissimi und einem einschlafenden Triller am Ende. Frühlingsleicht der Beginn des Prestos, dann wurden thematische Linien mit dem Presslufthammer interpretiert. Vielgestaltig Tschaikowskis Musikschulklassiker, der Zwölfteiler Die Jahreszeiten: etwas zähflüssig die Barcarole (Juni), wie auf Valium das Herbstlied (Oktober), Weihnachten wurde auf robuste Weise gefeiert.

Zum vorweihnachtlichen Großgeschenk wurden dann wie zu erwarten die vier Scherzi von Chopin: ein Hochfest der Spielfreude. Gern machte Lang Lang die Dinge ein wenig anders als notiert: Der grelle, gellende hohe Fortissimo-Eröffnungsakkord des ersten Scherzos kam supersoft daher, fast fragend; ein Brüller, ein Schocker dann erst die krachende Antwort im Untergeschoß. Die Codas präsentierte der Chinese mit Wucht und Kraft. Lang Lang zündete immer noch eine Stufe, preschte davon wie ein Formel-1-Wagen ... Zum Juwel der Viererkette wurde das b-Moll-Scherzo mit einem Seitenthema zum Verlieben und einem wahnwitzigen Mittelteil. Jubel. (Stefan Ender, DER STANDARD, 21.11.2014)