Am 3. September verhaftete die bosnische Sonderpolizei Sipa 16 Salafisten, darunter den Prediger Husein Bosnic, der für die IS rekrutierte und im Bosnienkrieg in der Einheit El Mudzahid gekämpft hat.

Foto: Sipa

Manche Leute sagen scherzhaft, dass man verstehen könnte, dass Leute nach Syrien gehen, wenn man Ošve gesehen hat. Das Dorf liegt ein paar Kilometer außerhalb von Maglaj in den Bergen. Es handelt sich um eine Ansammlung von armseligen Häusern, viele sind zerschossen. In Ošve ist der Krieg (1992-1995) noch präsent.

Ein einziges Haus ist verputzt. Die Bewohner dieses Hauses scheinen mehr Geld zu haben, als im Rest des Dorfes. Am Dachfirst sind zwei Megaphone angebracht, woran man erkennt, dass es sich um die Moschee handelt.

Die Leute, die in das Haus gehen, Männer mit langen Bärten und kurzen weiten Hosen, sind nicht besonders auskunftsfreudig. Ob hier jemand verhaftet wurde? "Ich weiß gar nichts", sagt einer, "ich komme vom Augenarzt." Dann schließt sich die Tür wieder. Die "Vehabis" - so werden Wahhabiten in Bosnien-Herzegowina genannt – sind generell medienscheu.

Razzia vergangene Woche

Erst vergangene Woche fand in Bosnien-Herzegowina wieder eine große Razzia gegen die Salafisten statt. Elf Personen wurden wegen Terror-Verdachts in Sarajevo, Zenica, Kakanj, Maglaj und Živinica verhaftet, zahlreiche Beweismittel sichergestellt. An der Aktion "Damaskus" der Sonderpolizei Sipa beteiligten sich mehr als 100 Beamte. Den Verdächtigen wird die Rekrutierung von Kämpfern für den Krieg in Syrien und im Irak vorgeworfen.

Bereits im September fanden an 17 Orten in Bosnien-Herzegowina Razzien gegen Islamisten statt, die Kämpfer für den Djihad im Irak und in Syrien rekrutieren. Damals wurden 16 Personen festgenommen, Computer und Handys beschlagnahmt. Auch in Ošve fuhr die Sonderpolizei Sipa vor.

Einer der führenden Figuren in Ošve ist Izet H.. H. soll bosnischen Medien zufolge Kontakte zur Wiener Salafisten-Szene haben, die als "Zentrale" für die Balkan-Salafisten gilt. So sollen vergangenes Jahr zwei Delegationen, eine aus Wien und eine aus Deutschland bei H. gewesen sein. In einem Youtube-Video regt sich H. darüber auf, dass die Muslime nicht das Recht hätten sich in Bosnien oder in Syrien zu verteidigen.

Dann meint er, dass sie aber über Pässe und Visa verfügen würden, um nach Syrien zu gehen. "Wir sind nicht zu stoppen", so H. In Ošve war in der Vergangenheit bei den Islamisten auch ein Auto mit Grazer Kennzeichen zu sehen.

Bis zu zehn Jahre Gefängnis

Gegen zwei Salafisten wurde mittlerweile ein Reiseverbot verhängt, sie dürfen ihre Reisedokumente nicht verwenden, bestimmte Personen nicht treffen und sie müssen sich jede Woche bei den Behörden melden. In Bosnien-Herzegowina versucht man Entschlossenheit gegen die islamistische Szene zu zeigen.

Ein neues Gesetz besagt, dass Leute, die im Ausland kämpfen bis zu zehn Jahre ins Gefängnis müssen. Nicht nur in Bosnien-Herzegowina, auch in Serbien will die Regierung härtere Strafen für Leute, die in den Djihad ziehen, einführen.

Festgenommen wurde in Bosnien-Herzegowina etwa der Hassprediger Husein Bosnić genannt Bilal, der nicht nur für den Djihad im Irak Leute zu rekrutieren versuchte, sondern auch die Tötung von James Foley durch die IS "verteidigte", indem er meinte, dass dieser ein Spion gewesen sei. Bosnić rief offen dazu auf, dass sich junge bosnische Muslime in Syrien und im Irak der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) anschließen sollten und predigte vor einer Flagge der IS.

Erschreckend ist, dass Bosnić auch in wichtigen Einrichtungen, wie dem bosnischen Kulturzentrum BKC in Sarajevo noch 2012 predigen durfte. Er tourte auch durch Europa, unter anderem war er in Österreich und Deutschland um seine Botschaften zu verbreiten.

Angst vor Organisierter Kriminalität

Als einer der besorgniserregendsten Entwicklungen gilt, dass die Kämpfer aus Syrien und dem Irak, wenn sie nach Bosnien-Herzegowina zurückkehren, noch radikalisierter sind und zu Kampfmaschinen erzogen wurden, die mit allen möglichen Waffen umgehen können.

"Wenn diese Leute von Terroristen oder von der Organisierten Kriminalität angeheuert werden, ist das sehr gefährlich", sagt Sicherheitsexperte Vlado Azinović. Insbesondere in so einem schwachen Staat wie Bosnien-Herzegowina. Einige Bosnier sind mitsamt ihren Familien und Kleinkindern nach Syrien zum Kämpfen gezogen. "Wenn man mit der Familie geht, bekommt man ein Haus, es wird für das ökonomische und soziale Leben gesorgt", erzählt Azinović.

Für manche ist das durchaus attraktiv, denn sie könnten sich in ihrer Heimat kein eigenes Haus leisten. Insofern gäbe es neben den religiösen Gründen, auch sozioökonomische Motive der Kämpfer, so Azinović. Etwa 160 Bosnier sind in den vergangenen drei Jahren in den Irak oder nach Syrien in den Djihad gegangen, zwei Drittel von ihnen kehrten zurück, bisher wurden etwa zwanzig getötet.

Gornja Maoča-Wien

Einer der wichtigsten Salafisten-Führer in Bosnien-Herzegowina Nusret Imamović, ging auch in den Djihad. Offensichtlich kämpfte er aber für die Nusra-Front und nicht für die IS. Die Balkan-Salafisten sind in dieser Frage gespalten. Das Zentrum der bosnischen Salafisten-Szene ist seit vielen Jahren das Dorf Gornja Maoča in der Nähe von Brčko.

Die bosnische Sonderpolizei Sipa führte in Gornja Maoča, wo die Vehabi in aller Abgeschiedenheit wie in einer Sekte ganz nach ihren eigenen Vorstellungen leben, immer wieder groß angelegte Razzien durch. Praktisch alle wichtigen Figuren der Szene haben Verbindungen in das Dorf.

20 Leute stehen unter dauernder Beobachtung der Behörden. Die salafistische Szene ist laut Experten aber schwer zu infiltrieren. Die Rekrutierung von Kämpfern für die Terrororganisation IS ist in Bosnien-Herzegowina insofern anders als in anderen europäischen Staaten, als hier auch ehemalige Soldaten, die im Krieg in Bosnien-Herzegowina (1992-1995) waren, angesprochen werden.

Etwa ein Drittel der 160 Kämpfer, die aus Bosnien-Herzegowina in den Irak oder nach Syrien gingen und gehen, sind ehemalige Teilnehmer des Bosnien-Kriegs und in ihren späten 40-ern. In Videos wird auch ein direkter Bezug zwischen dem Bosnien-Krieg und dem Krieg in Syrien oder im Irak gemacht.

Dadurch wird insinuiert, dass es um die Fortsetzung des vergangenen Kriegs gehen würde. Auch nach Bosnien waren im Krieg ausländische Kämpfer gekommen. Die Mudjaheddineinheit El Mudžahid war ab 1993 Teil der bosnischen Armee. Von den ausländischen Kämpfern wurden zahlreiche Kriegsverbrechen gegen Kroaten und Serben verübt.

Ein Adrenalinpark

Die zweite Generation der Kämpfer ist etwa 20 Jahre jünger. "Für die ist das auch ein Adrenalinpark", so Azinović. Dabei seien es keineswegs unbedingt Leute aus konservativen muslimischen Familien, sondern eher Leute, die am Rande der Gesellschaft stehen, die sich von den Terrororganisationen rekrutieren lassen würden. Manche von ihnen kämen aus säkularen Familien.

Die Flieger, die von Sarajevo in die Türkei fliegen, hießen eine Zeit lang denn auch "Djihad-Flieger", weil viele der Kämpfer von der Türkei aus nach Syrien gingen. "Jetzt hat sich das Reisemuster geändert. Jetzt fliegen diese Kämpfer auch über Kroatien, Slowenien, Österreich oder Deutschland", sagt Azinović.

Die salafistische Szene aus Bosnien-Herzegowina hat einen Diaspora-Zweig in Wien, der die Gruppen in Bosnien-Herzegowina ideologisch, finanziell und strategisch unterstützt. In Österreich fühlten sich diese Gruppen relativ sicher. Wien ist für die Balkan-Salafisten ein zentraler Koordinationsort und Treffpunkt.

Einer der Salafisten-Prediger in Wien ist Mirsad O. genannt Ebu Tejma, auch er lebte in Gornja Maoča. O. kommt aus dem Ort Tutin im serbischen Sandschak, wo viele Bosniaken leben. Er verbreitet seine Botschaften über Youtube-Videos. In einem der Videos erklärt er in breitem Wienerisch wieso es wichtig sei für die "islamische Ummah" (Gemeinschaft) zu kämpfen.

Wenn er von Christen und Juden spricht, spricht er von "Kreuzrittern und Zionisten". Nicht-Muslime bezeichnet er generell als "kuffar" (Einzahl "kafir"), also als "Ungläubige". Wenn die "kuffar" die Muslime angreifen würden, sei es die "Pflicht von jedem Muslim den Islam und den islamischen Staat zu verteidigen", so O.

In diesem Fall müsse man auch nicht die Eltern um Erlaubnis fragen, um in den Djihad zu ziehen, so der Prediger. O. erklärt in dem Video, dass man, wenn man in den Djihad ziehen würde, bei Gott am "höchsten" stehen würde. Die "kuffar" "sollten wirklich Angst haben", so O., dass die Muslime "alles zurückzahlen" würden.

Dann behauptet er, dass die "Christen" sich über den Propheten lustig gemacht hätten, Karikaturen gezeichnet hätten und der Koran ins WC geschmissen worden sei. O. sagt auch, dass die "Juden und Christen" niemals mit den Muslimen "zufrieden sein würden", wenn diese ihnen nicht folgen würden.

Balkan-Salafisten-Szene in Wien

Ein weiterer Wiener Prediger aus Tutin ist Nedžad B. genannt Ebu Muhammed. Auch er ist eine zentrale Figur der Balkan-Salafistenszene in Wien. Die Leute um ihn und rund um die Gruppe Kelimetul Haqq erklären, dass die Mitglieder der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Bosnien-Herzegowina keine wahren Gläubigen seien.

Seit vielen Jahren kritisieren Mitglieder der Glaubensgemeinschaft wiederum die Takfir-Ideologie dieser Extremisten. Takfir bedeutet die Anschuldigung gegenüber einem anderen Muslim, dieser sei vom Glauben abgefallen. In Bosnien-Herzegowina erschien sogar ein Artikel der gegen Nedžad B. gerichtet war mit dem Titel "Takfir aus der Wiener Küche".

B. hatte jedenfalls Kontakt zu jenem Mann, der 2011 in Sarajevo die US-Botschaft mit einer Kalaschnikow beschoss. Dieser Mevlid J. war ebenfalls in Gornja Maoča und er lebte ebenfalls in Wien, wo er 2005 wegen eines Überfalls verurteilt worden war. Insidern zufolge ist die Szene um die aus Bosnien-Herzegowina und dem Sandzak stammenden Salafisten in Wien mittlerweile in fünf Untergruppen zersplittert.

Die Radikalisierung innerhalb der Gruppe passiert vor allem über Endzeit-Vorstellungen. Den jungen Leuten wird eingeredet, dass sie sich im letzten entscheidenden Kampf befinden und ihre Taten dementsprechend radikal sein müssen. Zudem wird ihnen von ihren Anführern erzählt, dass nur wenige (also nur jene, die besonders streng den Gesetzen folgen würden) in den Himmel kommen würden.

Konkurrenzdruck und apokalyptische Vorstellungen tragen zur Bereitschaft bei, sich für den Krieg in Syrien oder im Irak rekrutieren zu lassen. Bei den österreichischen Sicherheitsbehörden ist man sich der Problematik bewusst, doch den Predigern ist vor allem deshalb schwer anzukommen, weil die Strafverfolgung im Internet schwierig ist. Sobald eine Website gesperrt ist, sind schon wieder andere online.

"Mörder stoppen"

Die Salafisten in Bosnien-Herzegowina sind nicht Teil der Islamischen Glaubensgemeinschaft, sondern werden von dieser strikt zurückgewiesen. Das Oberhaupt der bosnischen Muslime, Reis-ul-Ulema Husein Kavazović verurteilte die Ermordung des Briten Haines nicht nur scharf, sondern er erklärte nach einem Grubenunglück kürzlich auch die verstorbenen Bergarbeiter zu Märtyrern, um einen anderes Verständnis für den Begriff "Djihad" zu prägen.

Den "Djihad" könne auch bedeuten für die Familien im Stollen zu arbeiten, so Kavazović. "Die Muslime müssen jetzt zeigen, dass sie entschlossen sind, die Mörder zu stoppen", so Kavazović. Der Mord an einem unschuldigen Mann sei so wie wenn man die ganze Menschheit töte, so der Reis-ul-Ulema Kavazović.

Die Behörden sind aber zuweilen lax. Journalisten die über die Salafisten in Bosnien-Herzegowina schreiben, wie etwa Esad Hećimović, der für Oslobođenje arbeitet, können unter Druck kommen.

Einer der salafistischen Kämpfer Emrah Fojnica, der übrigens auch wegen des Anschlags auf die amerikanische Botschaft verurteilt worden war, drohte Hećimović im Internet und die Behörden glaubten ihm zunächst nicht. Fojnica hat sich mittlerweile bei einem Selbstmordattentat im Irak selbst getötet. (Adelheid Wölfl aus Sarajevo, DER STANDARD, 20.11.2014)