Zum Jahresabschluss 2014 lud sich der ÖFB mit Brasilien am Dienstag noch einen Härtetest für die in diesem Jahr noch unbesiegte Nationalmannschaft ins Ernst-Happel-Stadion. Teamchef Marcel Koller nutzte diese Gelegenheit gegen einen zuletzt mit starken Ergebnissen aufzeigenden Fußballriesen logischerweise, um die Defensive auszutesten. Auch nach der unglücklichen 1:2-Niederlage zeigte sich der Schweizer hochzufrieden, ja gar "richtig stolz darauf". Seine Mannschaft habe in der einzigen zur Verfügung stehenden taktischen Trainingseinheit alle Vorgaben aufgesogen und umgesetzt.

Sowohl Österreich als auch Brasilien spielten eine 4-4-1-1-Variation, wobei der zentrale Mittelfeldspieler bei Brasilien (Neymar) wesentlich freigeistiger agiert als bei Österreich (Junuzovic), wo für diese Position harte Arbeit angedacht ist. Im Bild klappt Sechser Gustavo neben die Innenverteidigung zurück, was er häufig tat.
Foto: Schaffer

Wie man schon an der Grundformation sieht: Österreichs Spiel verlagert sich bei gegnerischem Ballbesitz recht stark in die Richtung des Balls, um in dessen Nähe die Räume dichtzumachen. Der Gegner kann dabei oft nur dann effektiv im Feld vorrücken, wenn er die Kunst von präzisen, weiten Diagonalpässen beherrscht. Das allein bringt die Koller-Truppe aber meist noch nicht in Gefahr, und Brasilien blieb in diesem Zusammenhang ohnehin unauffällig.

Angriffspressing

Österreich zeigte gegen Brasilien eine gut gestaffelte Verteidigung, wobei vor allem die erste Defensivlinie – das Angriffspressing – selten zum Einsatz kam. Kollers Team lenkt bei einem Querpass der gegnerischen Innenverteidiger den nächsten Ball gerne auf die Außenverteidiger, um dort dann den Raum zu verdichten und einen Ballgewinn oder eher unkontrollierten Abschlag zu provozieren.

Auf diese Situationen wartet Österreich eigentlich, um sein Angriffspressing zu starten.
Foto: Schaffer

Dazu muss man allerdings hoch stehen. Zudem darf die Formation nicht allzu weit auseinandergezogen oder ungeordnet sein. Brasilien entging diesem Spiel mit dem nötigen Tempo beim Verlagern und gelegentlich auch damit, dass die hinterste Linie durch einen neben die Innenverteidigung herauskippender Sechser (Gustavo) um einen zusätzlichen Mann ergänzt wurde, um dem Außenverteidiger ein paar Schritte nach vorne zu ermöglichen.

Während Österreich im Angriff bekanntermaßen dank aufrückender Flügelspieler in ein 4-2-3-1 wechselt, stand man auch gegen Brasilien defensiv im 4-4-2. Die Stürmer decken das defensive Mittelfeld der Gegner zu, um ein Spiel durch die Mitte zu unterbinden.
Foto: Schaffer

Es gibt eine kritische Stelle für dieses österreichische Abwehrverhalten. Wenn der Zugriff des Pressings nicht recht genau abgestimmt ist, kann das vor allem gegen Teams mit zwei Stürmern zum Problem werden. Im Bild oben auf der linken Seite zu sehen: Flügelspieler Arnautovic orientiert sich zur Verdichtung des Raums rund um den Ball am gegnerischen Außenverteidiger, und Außenverteidiger Fuchs folgt dem sonst anspielbaren brasilianischen Flügelspieler bis weit ins Mittelfeld. Dadurch entsteht Raum auf den Seiten. Die Stürmer müssen in diesem Fall aggressiv verteidigen, denn gelingt dem Gegner ein vertikaler Pass in diese Zone, muss Innenverteidiger Hinteregger in ein Laufduell als womöglich letzter Mann.

Im nächsten Bild kann man dieselbe Situation auf der rechten Seite sehen. Harnik orientiert sich nach vorne, Klein rück zu Oscar auf, und niemand kann den ballführenden Luiz unter Druck setzen. Ein leidender Neymar forderte den Pass in die Tiefe in dieser Szene sekundenlang.

Neymar hat nur noch Dragovic bei sich und erkennt die Chance für einen Ball in die Tiefe. Er wachelt und signalisiert, aber der Pass von Luiz kommt einfach nicht.
Foto: Schaffer

Brasilien versuchte zwar gelegentlich, diese Lücken anzuspielen, es gelang der uninspirierten Selecao allerdings nie wirklich. Vor allem in der ersten Hälfte fiel der Rekordweltmeister ohnehin praktisch nur durch Zufallsaktionen auf.

Im Mittelfeld und weiter hinten

Kam doch einmal ein Ball durch die Mitte (etwa weil Oscar dort als zusätzliche Anspielstation auftauchte), machten es die Österreicher auch dort eng. Die Flügel zogen dann einfach mit ins Zentrum und damit dort die Schlinge enger. Gelingt hier ein Ballgewinn, versucht das ÖFB-Team oft, schnell in den Angriff umzuschalten.

Mit den dazugehörigen Laufwegen scheint vor allem der bisher selten eingesetzte Okotie allerdings noch seine Probleme zu haben. Zudem fehlt da derzeit auch bei Harnik und mit Abstrichen Junuzovic die nötige Präzision.

Dem Gegner zwei Drittel des Feldes überlassen

Wenn hingegen Brasilien die Intensität erhöhen konnte und durch die ersten Abwehrreihen kam – was vor allem mit dem kleinen Attentat auf Kavlak und der ein paar Minuten andauernden Unterzahl der Österreicher seinen Startschuss fand –, ließ sich Österreich noch etwas weiter zurückfallen.

Junuzovic gliederte sich dann schon einmal in die Mittelfeldkette ein. Die Flügelspieler ergänzten hingegen die Abwehr ganz außen, womit Österreich fünf bis sechs Leute auf einer Linie hatte. Brasilien bekam durch die Mitte kaum Bälle in den Sturm, und auf diese Weise wurde den Gästen auch in der Breite wenig Platz gelassen. Besonders klar wurde das natürlich nach dem Ausgleich zum 1:1, als der gelernte Linksverteidiger Ulmer den herausragenden Arnautovic ersetzte.

Während das ÖFB-Team gut in der Defensive stand und keine Pässe auf Neymar zuließ, kontrollierte Brasilien die Begegnung notfalls über Härte. Vor allem im Zentrum wurde im Zweifelsfall der Gegnerangriff einfach kaputtgetreten. Damit waren entscheidende Steilpässe in den Angriff auch für Österreich praktisch als Mittel ausgeschaltet.

Ein Detail zu Standardsituationen: Österreich verlagerte sich wie gegen Russland bei gegnerischen Eckbällen vollkommen auf die Verteidigung im Strafraum. Man stellte keine Konterstürmer ab. Die Russen hielten das am Samstag genauso. Brasilien hingegen lässt Neymar an der Mittellinie auf Abschläge warten. Auch bei Freistößen der Österreicher lauerte er immer wieder vorne.
Foto: Schaffer

Da Österreich bei Standardsituationen abgesehen von Volleyballeinlagen und Stangenköpflern aus klarer Abseitsposition generell keine Gefahr erzeugen konnte, lohnte sich für die Gäste dieses hässliche Gesicht auch. Der schwache Schiedsrichter hätte das mit schnellen gelben Karten aber unterbinden müssen – ein Pflichtspiel wäre so wohl nicht mit elf brasilianischen Spielern zu Ende gegangen.

Österreichs Offensivbemühungen verlagerten sich deshalb auf die Flügel, wo Arnautovic mit Finesse und einmal mehr auch effektiver Tempokontrolle auftrumpfte (seine Fähigkeit, den Ball auch unter Druck zu halten, ermöglicht Fuchs und anderen Spielern aufzurücken), während Harnik und Klein eher über die Geschwindigkeit zu kommen versuchen.

In einigen Aktionen (vor allem in den ersten 30 Minuten) konnte man sich so Eckbälle und Halbchancen erarbeiten, aber Dungas Auswahl verteidigte auch abseits von Härteeinlagen ebenfalls ziemlich gut, weshalb Toraktionen auf beiden Seiten Mangelware blieben.

Fazit

Österreichs Test funktionierte im Prinzip hervorragend. Brasilien mag derzeit nicht zu den stärksten drei Teams der Welt gehören, aber der WM-Halbfinalist bleibt immer noch unter den Besten. Ein optimaler Gegner, um die Defensive zu testen. Die wird bei den Auswärtsspielen in Schweden und Russland sicherlich gefordert sein – zwei Remis in diesen Spielen sollten ja zur Qualifikation für Frankreich 2016 bereits genügen (was hier kurz durchgerechnet wird).

Die Tore der Selecao fielen nach einem klaren Foul bei einer Standardsituation (wobei sich die Sinnfrage nach einem Mann an der Stange im langen Eck beim Corner stellt, wenn der Ball dort trotzdem einschlägt) und aus einem Tausendguldenschuss (wobei: Firmino hatte zu viel Zeit) in der 83. Minute. Zum Zeitpunkt des Siegestreffers hatte Koller zusätzlich zu den vielen Abwesenden bereits drei Feldspieler gewechselt. Das Ergebnis mag etwas ärgerlich sein. Das Spiel liefert aber gerade unter Berücksichtigung der Verletzungen von Alaba, Baumgartlinger und Leitgeb absolut keinen Grund, für das schwierige Jahr 2015 beunruhigt zu sein. (Tom Schaffer, derStandard.at, 19.11.2014)