Wien - Wer derzeit einen Straf- oder Zivilprozess verliert und davon überzeugt ist, dass das dem Urteil zugrunde liegende Gesetz verfassungswidrig ist, der kann derzeit nur den Richter bitten, doch beim Verfassungsgerichtshof (VfGH) einmal nachzufragen. Aber 1. Jänner soll sich dies ändern: Dann tritt die Gesetzesbeschwerde neu in Kraft. Unter dem Begriff der Normenkontrolle kann jeder Bürger beim VfGH eine Überprüfung von fragwürdigen Gesetzen oder Verordnungen beantragen.

Doch was als Meilenstein zur Stärkung des Grundrechtsschutzes gedacht war, droht durch eine schlechte Umsetzung zu einem Fiasko zu werden. Anwälte sehen im Ausführungsgesetz, das heute, Mittwoch, im Nationalrat beschlossen werden soll, verfassungswidrige Ausnahmebestimmungen, die selbst aufgehoben werden könnten. Gleichzeitig ist das Verfahren so angelegt, dass der VfGH in einer Flut von Beschwerden unterzugehen droht. "Das wird ein juristischer Super-GAU in inhaltlicher und prozessualer Sicht", sagt Bernhard Müller, Partner in der Kanzlei Dorda Brugger Jordis, die vergangene Woche eine hochkarätige Podiumsdiskussion zu diesem Thema veranstaltet hat.

Nur nach der ersten Instanz

Müller sieht mehrere Problemzonen im neuen Regelwerk: Zunächst einmal sieht bereits das im Vorjahr beschlossene Verfassungsgesetz vor, dass Gesetzesbeschwerden nur nach erstinstanzlichen Urteilen eingebracht werden können. In Deutschland hingegen findet die Normenkontrolle nach Entscheidungen des Höchstgerichtes statt. Dagegen haben sich die Richter des Obersten Gerichtshofes gewehrt, weil sie nicht wollten, dass nach ihren Entscheidungen der VfGH umstrittene Causen noch einmal aufnimmt.

Das aber hat laut Müller zwei Folgen: Erstens ist es einfacher und billiger, eine Beschwerde gleich nach der ersten Instanz einzubringen, ohne dass man mit dem vollen Kostenrisiko den Weg bis zum OGH weitergehen muss. "Damit öffnet man auch Querulanten Tür und Tor", warnt er. Und weil des Weiteren in der ersten Instanz grundlegende Rechtsfragen oft noch gar nicht behandelt werden, fehlen den Verfassungsrichtern wichtige Entscheidungsgrundlagen. Da bei einer Gesetzesbeschwerde der weitere Instanzenzug unterbrochen wird, drohen dadurch Verfahrensverzögerungen, warnt Müller. Verfahren, die bisher in einem halben Jahr zu einem rechtskräftigen Urteil geführt haben, könnten nun mehr als ein Jahr dauern - mit entsprechendem Schaden für den Wirtschaftsstandort. "Es war unzweckmäßig, die Beschwerde gleich nach der ersten Instanz anzusiedeln", kritisiert der Anwalt.

Verwaltungsgerichte besser

Auffallend sei, dass der Rechtsschutz bei den Verwaltungsgerichten besser geregelt sei als bei den ordentlichen Gerichten, sagt Müller. Gegen deren Erkenntnis- se kann auch wegen der Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte Beschwerde beim VfGH erhoben werden und nicht nur wegen rechtswidriger genereller Normen. Müller: "Es ist nicht nachvollziehbar, warum man beim Grundrechtsschutz zwischen zwei Gerichtstypen differenziert."

Im Ausführungsgesetz zur Verfassungsbeschwerde kam dann ein weiteres Problem dazu: Die Gesetzesbeschwerde kann nur gemeinsam mit einem Rechtsmittel gegen ein erstinstanzliches Urteil eingebracht werden. Das heißt, einer Partei, die in erster Instanz gewinnt und deshalb keinen Grund zur Berufung hat, aber fürchten muss, in der zweiten Instanz zu verlieren, ist die Anwendung des Instruments verwehrt - auch wenn sie in der Berufung verliert. Das widerspreche den Vorgaben des Verfassungsgesetzes "und ist eindeutig verfassungswidrig", warnt Müller.

Weitere Verstöße gegen die Verfassung sieht Müller ebenso wie andere Juristen in den Ausnahmebestimmungen im Ausführungsgesetz. So sind Gesetzesbeschwerden beim Außerstreitverfahren im Mietrecht genauso wenig möglich wie bei Auslieferungsverfahren oder bei Insolvenzverfahren. Zwar war der Ausnahmekatalog, den das Justizministerium vorlegte, noch größer, aber auch die nun fixierten Ausnahmen gelten zum Teil als problematisch.

Ausnahme im Mietrecht

Oliver Thurin, Anwalt bei Benn-Ibler Rechtsanwälte, ist vor allem die Ausnahme für das Außerstreitverfahren im Mietrecht ein Dorn im Auge. Die Begründung des Gesetzgebers, dass es bei solchen Konflikten etwa um Mietzinsüberprüfungen und Erhaltungsarbeiten zu keiner Verzögerung kommen darf, sei nicht zulässig. Denn schon jetzt gebe es in diesen Verfahren einen dreistufigen Instanzenzug und in Großstädten wie Wien ein vorgeschaltetes Verfahren einer Schlichtungsstelle. "Ein besonderes Eilbedürfnis besteht daher bei diesem Verfahren nicht", sagt Thurin. Auch er rechnet mit Anfechtungen dieser Bestimmung vor dem VfGH.

Besser wäre es gewesen, auch in diesen Fällen eine Gesetzesbeschwerde zwar zuzulassen, dieser aber keine aufschiebende Wirkung zuzubilligen, fügt Müller hinzu. "Dies hätte die Verfassung zugelassen."

Juristen bedauern, dass man nicht das seit Jahrzehnten existierende deutsche Modell übernommen hat. Dort ist die Gesetzesbeschwerde am Ende des Instanzenzuges und sieht keine aufschiebende Wirkung vor. Bei einer erfolgreichen Beschwerde kommt es zur Wiederaufnahme des Verfahrens, doch das ist bei einer Erfolgsquote von zwei oder drei Prozent in der Praxis kein Problem. "Es ist schade, dass ein an sich gutes Instrument durch politische Kompromisse zu einem untauglichen Instrument verstümmelt worden ist", sagt Müller. (Eric Frey, DER STANDARD, 19.11.2014)